Archiv für August 2010
Im Schmuggler-Zug von Ulaanbaatar nach Ulan-Ude
Ein Klopfen an meiner Zimmertür weckt mich. Es ist der Etagenboy, der mir mein Frühstück aufs Zimmer bringt. Er hat einen kleinen Teller in der Hand, auf dem liegen zwei Toastbrot-Hälften mit Wurst belegt. Immerhin.
Ich dusche noch einmal vor der langen Reise bis nach Tschita. Nachdem ich meine Sachen wieder “reisefertig” verpackt habe, laufe ich zum Guesthoust rüber. Im Guesthouse herrscht Trubel, viele Gäste wollen abreisen, andere kommen gerade an. Die Bürodame ist etwas überfordert. Dann kritzelt sie mir noch auf einem kleinen Zettel meine Rechnung und ich bezahle mit dem Rest meiner Tugrik und ein paar US Dollar. Alles irgendwie unkompliziert.
Nun habe ich noch fast 2 Stunden Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges. Ich schreibe noch schnell die Berichte von meinem Ausflug in den Nationalpark und schicke ihn ins Internet. Hier in der Stadt sind die Internetverbindungen auch wirklich schnell. Als es Zeit ist aufzubrechen, bitte ich die Rezeptionistin mir doch bitte ein Taxi zu rufen. Sie erklärt mir, dass jedes private Auto in der Mongolei ein Taxi ist. Man stellt sich einfach an die Straße, hält die Hand raus und wartet ein paar Sekunden. Dann hält schon jemand an. Wir machen das zusammen und prompt hält jemand. Sie erklärt dem Fahrer mein Ziel, aber der hat wohl in dem dichten Verkehr eine andere Richtung geplant. Beim nächsten Fahrzeug klappt es. Der Preis wird vorher ausgehandelt, 1000 Tugik (60 Cent). Der Kofferraum des Auto ist voll und so muss ich mit meinem großen Rucksack zusammen auf die Rückbank. Wir kämpfen uns durch den Stau. Schon nach wenigen Minuten sehe ich das mir bekannte Bahnhofsgebäude.
Die Wartezeit bis zur Abfahrt des Zuges verbringe ich in der Wartehalle, die wirklich an jedem Bahnhof in ähnlicher Form vorhanden ist. Es herrscht ein Kommen und Gehen und immer wieder hört man völlig unverständliche Ansagen. Eine Anzeigetafel wie auf den russischen Bahnhöfen fehlt. Aber Gott-sei-Dank kann die Dame der Auskunft etwas Englisch und ich kenne nun die Bahnsteignummer wo mein Zug abfährt. Es ist direkt der Bahnsteig, den ich aus dem Fenster sehen kann. Nun kann ich in Ruhe die Ankunft des Zuges abwarten. Draußen kommen immer mehr Leute und der Bahnsteig steht dicht gedrängt voll Menschen. Ich denke so, das wird ja voll werden im Zug. Der Zug fährt ein und als die Türen aufgehen, werden die Schaffnerinnen förmlich überrollt. Alles stürmt in den Zug, eine Fahrkartenkontrolle vor dem Zug ist für das arme Personal quasi unmöglich. Dazu werden riesige Bündel von Sachen in en Zug verladen, die alle irgendwie im Gang gestapelt werden. Ich zeige nach dem ersten Ansturm meine Fahrkarte und kann in mein Abteil. Das ist ca. 40 Jahre älter, als das was ich bisher gewohnt war. Kurz nach mir stürmen drei Jugendliche das Abteil und verstauen zahlreiche Taschen unter dem Sitz und in der oberen Gepäckablage. Dann verschwinden sie alle wieder. Diese Prozedur wiederholt sich, nur sind die Ablagen langsam gefüllt und der Erfindungsreichtum wird immer größer, wie man auch die letzte Lücke Platz in dem Abteil noch ausnutzen könnte.
Kurz vor Abfahrt klärt sich die Lage. Es ist wohl der allgemeine Tag, an dem die Studenten aus der Mongolei wieder zurück an die Unis nach Russland müssen. Ich fahre zusammen mit drei Studenten (ein Student, der nach Petersburg will und ein Studentenpaar, das nach Moskau will). Die Angehörigen verabschieden sich lautstark und teilweise tränenreich von ihren Lieben. Als wir aus dem Bahnhof fahren winken uns tausende Menschen zu. Sie werden jetzt ihre Studenten für ca. ein halbes Jahr nicht sehen.
Direkt nach der Abfahrt klettert der eine Student erst mal zu seiner Freundin ins Bett, die Eltern sind wohl über das Liebesverhältnis noch nicht informiert. Dann werden die ganzen Lebensmittel für die nächsten Tage ausgepackt. Immerhin ist der Student bis Sankt Petersburg 6 Tage am Stück im Zug unterwegs. Überall baumeln von der Decke die Salamiwürste und das Abteil füllt sich mit den unterschiedlichsten Gerüchen. Auch haben die Studenten noch gekochtes Fleisch, Pfannkuchen und jede Menge Getränke dabei. Der kleine Tisch im Abteil ist so voll, dass ich nicht mal mehr meine Brille ablegen kann.
Schnell verlassen wir Ulaanbaatar und die endlose Steppe der Mongolei zieht an uns vorüber. Wir halten nur sehr selten, denn wir sind mit dem einzigen Schnellzug aus der Mongolei unterwegs.
Die Tür zum Abteil möchte ich eigentlich immer geschlossen halten, aber das ist hier unmöglich. Immer wieder kommen wild fremde Menschen ins Abteil und versuchen Waren jeder Art bei uns unterzubringen. Decken, Handtaschen, Sporthosen, T-Shirts etc. Diese Waren sollen alle unauffällig über die Grenze geschmuggelt werden. Als die Schmuggler merken, dass ich kein mongolisch kann, lassen sie mich schnell in Ruhe. Die Studenten nehmen aber alles was geht an. Die Wolldecken werden sorgfältig unter der Matrazenauflage verstaut, die Handtaschen ineinander gesteckt, dass zum Schluss nur noch eine Handtasche unauffällig am Haken hängt, die Sporthosen jeweils 4 Stück übereinander gezogen. Das Prozedere dauert ca. 4 Stunden und wird auf die Dauer echt nervig.
Als es bereits draußen dunkel ist erreichen wir den mir schon bekannten mongolischen Grenzbahnhof. Die gleiche Prozedur beginnt wie bei der Einreise. Pässe einsammeln, Zollkontrolle, Warten, Warten, Warten. Nach ca. 2 Stunden können wir Richtung russischer Grenze weiterfahren. Unterwegs halten wir nochmal an und ich sehe im Dunkeln Beamte, die mit den Taschenlampen den Zug von unten absuchen. An der russischen Grenze die gleiche Prozedur nur doppelt so lange. Der Zöllner hat schnell die Studenten im Visier und merkt, dass hier was nicht stimmt. Sie müssen ihre Deklarationen nochmal nachbearbeiten. Was das konkret bedeutet, verstehe ich nicht. Es wird unendlich heiß im Abteil und es kommen auch noch weitere Studenten zu uns. Es ist mittlerweile schon fast zwei Uhr nachts und ich würde jetzt gerne schlafen. Endlich gegen 2:15 erhalten wir unsere Pässe zurück und wir können endlich weiterfahren. Schnell kehrt Ruhe ein und ich kann endlich schlafen.
Von den russischen Schaffnerinnen war ich ja den “Weckservice” gewohnt. Die mongolischen Schaffnerinnen bieten diesen Service nicht und so bin ich froh, dass ich meinen Wecker gestellt habe. Das war wieder eine kleine Rechenaufgabe, weil es in Russland schon wieder eine Stunde später ist als in der Mongolei. Pünktlich um 07:38 erreichen wir den Bahnhof Ulan-Ude, den ich ja schon kenne. Ich laufe direkt in den Wartesaal und werde hier auf die Abfahrt meines Zuges heute Nachmittag warten.
Nacht in der Jurte
Schon den ganzen Morgen hat es heftig geregnet. Der Regen macht eine kurze Pause als wir unendlich viele Kartons in den Kofferraum des PKW packen. Ein Fahrer wird uns in den Nationalpark Terelj bringen. Als alles verstaut ist, machen wir uns auf den Weg durch das Verkehrsgewühl der Stadt. Es regnet wieder mehr und die Wolken hängen sehr tief. Ich denke, dass ich wirklich extrem vom Pech verfolgt bin. Immer wenn ich einen Ausflug in die Natur mache schüttet es so.
Am Stadtrand an einer Tankstelle hält der Fahrer an. Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir einen Platten haben. Er probiert es erst mit Luft aufpumpen, aber das hilft hier nicht mehr. Der Reifen muss gewechselt werden. Er hat wohl kein Ersatzrad und so machen sich er und ein Mechaniker an die Arbeit den Reifen per Hand von der Felge zu wechseln. Alles geht erstaunlich schnell und bald können wir unsere Fahrt weiterführen. Der Regen ist so stark, dass die Scheibenwischen kaum für klare Sicht sorgen können. Dazu weht ein heftiger Wind, der den Regen quer über die Straße peitscht. Aber am Horizont entdecke ich mit meinem geübten Auge ein kleines Wolkenloch. Innerhalb von Minuten reißt der graue Himmel auf und das herrliche Blau kommt hervor.
Bald machen wir einen Stopp an einem Anbetungshügel. Idres Sohn erklärt mir, dass ich drei Steine nehmen muss, den Hügel betend dreimal umrunden soll und nach jeder Runde einen Stein auf den Hügel werfen soll. Bei dem Haufen haben schon viele hier ihre Gebete verrichtet.
Wir fahren weiter zu einer Höhle in einem beeindruckenden Granitfelsen. Hier sollen 120 Mönche gelebt haben. Als wir in die Höhle einsteigen, denke ich so, dass da verdammt wenig Platz für den Einzelnen gewesen sein muss.
Langsam erreichen wir den Nationalpark und müssen an einer modernen Schranke Maut bezahlen. Wir passieren malerische Flusstäler und die Gegend sieht immer mehr aus, als wären wir mitten in der Schweiz. Deswegen wird dieses Gebiet auch “Mongolische Schweiz” genannt. Immer wenn wir an den Auffahrten zu den Brücken wegen der großen Unebenheiten sehr langsam fahren müssen, haben sich am Straßenrand strategisch günstig Frauen positioniert, die in Gläsern wilde Beeren verkaufen. Da wir den kompletten Proviant für die kommenden zwei Tage dabei haben, machen sie leider kein Geschäft.
Wir kommen nun zu einem sehr berühmten Felsen, der in nahezu jedem Reiseführer erwähnt ist: Turtle Rock. Das ist ein Felsen, der wie ein Schildkröte aussieht. Auch ihn besteigen wir und Idres Sohn klettert voran und spornt mich an, die waghalsigen Klettereien mit ihm zu machen. Als er mich durch eine enge Felsspalte schicken will, streike ich. Er hat höchstens die Hälfte meines Umfangs und passt gerade so durch das Loch.
Unsere nächste Station ist ein buddhistisches Kloster, was hoch oben am Berg liegt. Überall an den Felswänden sieht man kunstvolle Malereien, die auch der Anbetung dienen. Wir müssen auf dem Weg zum Kloster eine extrem wackelige Holzbrücke passieren, auf der höchstens 2 Personen gleichzeitig laufen dürfen. Danach steigen wir 152 Stufen zum Kloster hoch. Vor dem Betreten kommt noch der Gang ums Kloster im Uhrzeigersinn und dabei drehen wir die Gebetsmühlen. Auch alles streng im Uhrzeigersinn. Das Kloster ist innen sehr prachtvoll gestaltet und in einem unbeaufsichtigten Augenblick kann ich schnell ein Foto schießen.
Gleich “um die Ecke” erreichen wir unser Tagesziel. Es ist ein Ger-Camp, indem auch richtige Familien leben und sich mit der Übernachtung von Touristen ein wenig Geld verdienen. Als wir das Zelt betreten habe ich einen richtigen “Kulturschock”. Auf zwei von den drei Betten in dem Zelt schlafen zwei Männer, die sich auch von unserer Ankunft nur wenig aus der Ruhe bringen lassen. Dazu sind noch zwei Frauen im Zelt und ein kleiner Junge, 4 Jahre alt. Die Frauen hantieren mit den Milchtöpfen auf dem Herd der in der Mitte des Zeltes die zentrale Stellung einnimmt. Idres Sohn erklärt mir, dass das Zelt streng in Zonen nach den Himmelsrichtungen aufgeteilt ist: im Osten ist de Bereich für die Frauen mit alle den Küchenutensilien, im Sünden ist die Tür der Ger, im Westen haben die Männer ihr Reich mit all den Dingen für die Pferde und die Jagd und im Norden steht die Bank für wichtige Besucher und Gäste. Wir dürfen auf der Bank im Norden Platz nehmen.
Die Frau bietet uns Joghurt aus einem großen Eimer an. Der schmeckt sehr köstlich und scheint ganz frisch zu sein. Daneben bereitet sie auf eine kleinen Holzbrett Fleischbällchen vor, die sie dann in Teigtaschen einwickelt. Mir kommen Gedanken zu den hygienischen Vorschriften in deutschen Restaurants und der Hartz 4-Gesetzgebung. Die Leute hier haben fast nichts. Die Kleider einer Person passt in eine kleine Reisetasche oder einen kleinen Wäschekorb. Die Fleischbälle werden nun in einer verdünnten Milchbrühe gekocht. Immer wieder legt die Frau Feuerholz nach und es wird langsam unerträglich heiß in dem Zelt.
Auch unsere Führerin packt die Kocher aus und bereitet unser Essen zu. Sie kocht Reis und schneidet das mitgebrachte Gemüse klein. Alles wird in der Pfanne angebraten. Als alles fertig ist, essen wir zuerst die Fleischbällchen in den Teigtaschen. Die schmecken sehr gut. Dann bekommen noch alle aus der großen Pfanne. Mit dem Spülen wird es auch nicht so genau genommen. Die Männer lecken die Teller meist so sauber, dass sie direkt wieder zurück in den Küchenschrank gestellt werden.
Wir plaudern noch etwas und Idres Sohn ist dabei ein gute Übersetzungshilfe. Alle wollen ganz genau meine Tour erklärt bekommen. Dann zeigen sie mir meinen Schlafplatz. Mittlerweile ist es richtig kalt geworden. Wir heizen den Ofen in meinem Schlafzelt an, aber das bringt nur wenig. Draußen pfeift ein eiskalter Wind und der Herr des Hauses schaufelt Erde auf die Ränder des Zeltes um es winddichter zu machen. Nun verabschieden sich alle und ich bleibe allein im Zelt zurück. Zum Glück habe ich wenigstens den Reiseführer dabei und lese die ganzen Kapitel über die Geschichte Russlands und der Mongolei nach. Immer mal wieder geht für 2-3 Minuten der Strom weg und es ist stockdunkel im Zelt. Nachdem ich nochmal den Ofen nachgelegt habe und mich schön aufgewärmt habe, krieche ich in meinen Schlafsack und ziehe den Reißverschluss komplett zu. Ich fühle mich wie im tiefsten Winter. Vorher muss ich noch ein paar Spinnen und Grashüpfer davon überzeugen, dass ich lieber alleine in meinem Bett schlafen will.
Mit dem Aufstehen lasse ich mir Zeit. Ich war zwar schon früh wach auf der ungewohnt harten Liege, aber mir war klar, dass das Leben hier oben so seine Zeit braucht. Nicht geht schnell hier und Hektik ist ein absolutes Fremdwort. Alle kümmern sich nur um das Essen.
Gegen 09:30 gehe ich wieder ins Familienzelt und die Frauen machen gerade das Frühstück. Es gibt heiße Milch und Weißbrot. Dazu etwas Käse. Unsere Führerin macht noch Früchte mit Nüssen und Joghurt. Sie sagt mir, dass sie erst noch das Mittagessen für uns zubereiten muss und dass wir dann gegen 11:00 weiter fahren werden. Ich habe also etwas Zeit und schaue mich ein wenig in der nahen Umgebung um und mache bei dem strahlend blauen Himmel ein paar schöne Fotos. Die Männer sind nicht mehr da und ich bekomme auch nicht raus, was sie gerade unternehmen. Immer mal wieder kommt ein Nachbar auf dem Pferd angeritten und hält einen kleinen Plausch. Als unser Mittagessen fertig ist meint unserer Führerin, dass es vielleicht besser ist, wenn wir erst hier essen. Es ist erst 11:00 und ich habe nach dem Frühstück vor 1,5 Stunden noch gar keinen Hunger. Es gibt Spagetti mit Fleisch und Gemüse.
Schnell wird noch gespült und alles wieder verpackt. Dann machen wir uns auf zu einem ganz besonderen Monument. Vorher macht sich die Frau des Hauses schick, legt Lippenstift auf und schminkt sich die Augen. Sie nutzt die Gelegenheit und fährt mit uns Richtung Stadt.
An einer Straßengabelung lassen wir sie aus dem Auto und fahren weiter zu einem neuen Denkmal, was erst 2010 fertig gestellt wurde. Es ist mit 40 Metern Höhe die höchste Reiterstatue der Welt und zeigt natürlich Dschingis Khan. Hier soll einmal ein großer Freizeitpark entstehen. Die Statue steht genau im Zentrum. Im Sockel unter der Statue befindet sich ein sehr modernes und schönes Museum über die Mongolei. In der Eingangshalle steht ein übergroßer Schuh von Dschingis Khan, der aus 250 Kuhfellen genäht wurde.
Man kann über eine Treppe durch den hinteren Fuß des Pferdes auf eine kleine Aussichtsterrasse steigen, die sich an der Mähne des Pferdes befindet. Hier oben treffen ich eine Gruppe von Koreanern, die deutsch sprechen und aus Berlin kommen.
Das Terrain ist sehr weitläufig angelegt aber bis auf ein paar Zelte noch komplett leer. Ich bin sehr gespannt, wie das in 10 Jahren aussehen wird. Vor dem Eingangstor treffe ich noch auf einen Hirten, der Zigaretten von mir haben will. Leider konnte ich ihm nichts geben.
Langsam machen wir uns auf den Rückweg und kämpfen uns durch die Staus von Ulaanbaatar. Wir kommen an unzähligen Autogeschäften und Märkten vorbei. Die Leute reparieren hier die Autos fast ohne Werkzeug und immer wieder sieht man Leute große schwere Ersatzteile tragen. Besonders Achsen und Stoßdämpfer scheinen wohl sehr gefragt zu sein, was bei den Straßen hier kein Wunder ist.
Zurück in Idres Guesthouse erfahre ich, dass ich umziehen muss. Ich ziehe in ein Hotel direkt um die Ecke. Nun habe ich noch Zeit für einen kleinen Stadtbummel und kann ein paar Mitbringsel organisieren.
Ein gutes Abendessen im Hotel beendet meinen sehr erlebnisreichen Tag.
Stadtbesichtigung Ulaanbaatar
Pünktlich um 06:30 Uhr fahren wir in den Bahnhof von Ulaanbaatar ein. Schon aus dem Fenster erblicke ich meine Abholerin, die ein Schild mit meinem Namen trägt. Hier bin ich zu Gast bei Idre’s Guesthouse, einem Hostel, das ich im Internet gefunden hatte. Die Dresdner Studenten haben hier auch gewohnt und es sehr gelobt. Mit einem bezauberten Lächeln empfängt mich eine junge Frau und bringt mich zum bereit stehenden Wagen. Wir fahren nur 2-3 km und ich bin gleich positiv überrascht. Es gibt viele Mädchen, die hier Dienst tun und sich gleich emsig um Alles kümmern. Ich bekomme ein hübsches Einzelzimmer (leider in direkter Nachbarschaft zur allgemeinen Duschanlage) und die Mädchen machen Tee für das schon bereitstehende Frühstück. Hier mache ich die Bekanntschaft von vielen jungen Leuten, aus Kalifornien, Schottland, Irland, Frankreich und natürlich Deutschland. Alle sind irgendwie viel länger als ich unterwegs. Die meisten fahren erst dann wieder Richtung Heimat, wenn aus dem Geldautomat nichts mehr rauskommt. Erst werde ich ein wenig neidisch, aber für mich ist es besser einen festen Plan zu haben.
Ich ruhe mich noch ein wenig aus, da die Nacht im Zug doch extrem kurz war. Aber schon bald packt mich der Tatendrang und ich will mit der Kamera und dem Reiseführer bewaffnet die Stadt erobern. Schon auf den ersten 100 Metern fühle ich mich in einer total fremden Welt. Die Menschen sprechen als sei es ein Gemisch aus indianisch und chinesisch, alles mit extrem vielen Zischlauten. Zuerst laufe ich mal Richtung der Prachtstraße “Prospekt des Friedens”. Hier soll sich das Geschäftsleben in der Stadt abspielen. Gleichzeitig führt diese Straße auch zu dem zentralen Platz der Stadt. Auf dem Weg dorthin tausche ich in einer Bank etwas Geld um. Die Landeswährung heißt Tukruk (Mehrzahl Tukrik) und ich muss mich erst einmal an die großen Scheine gewöhnen (ein USD ca. 1300 Tugrik, ein Euro ca. 1650 Tugrik).
Irgendwie misstrauisch laufe ich durch die Stadt. Im Reiseführer wurde sehr vor Taschendieben gewarnt, Matthias aus Dresden hatte mir auch erzählt, dass in der Zeit, als er in Ulaanbaatar war, ein Mann aus einer Bank kommend verfolgt wurde und dann mit einem Messer in den Rücken gestochen wurde. Aber nichts von dem geschieht. Schon nach wenigen Metern erreiche ich den “Central Department Store”, das größte Kaufhaus. Von außen sieht das Gebäude sehr markant aus und drinnen fühlt man sich wie in Frankfurt, London oder Paris. Unten geht es los mit der Parfümabteilung und weiter nach oben kommen die unterschiedlichen Konfektionsabteilungen. Alles ist hoch edel und ich frage mich, wer hier von der einheimischen Bevölkerung einkaufen gehen kann. Ich sehe kaum Kunden und je höher ich gelange, umso leerer werden die Flächen. In der obersten Etage ist fast gar nichts mehr an Geschäfte vermietet und man steht in einer riesengroßen leeren Halle. Hier ist also noch viel Raum für Entwicklung.
Schnell verlasse ich den Shopping-Tempel wieder und teste gleich gegenüber ein nettes kleines Restaurant mit dem Namen “Berlinburger”. Wie ich richtig vermutet hatte ist es ein Schnellrestaurant, das aber gar nicht die typische Burger im Angebot hatte. Es werden eigentlich ganz normale Speisen, die ich mir auf einer Bildtafel und am Buffet anschauen kann, angeboten. Die Bestellung funktioniert problemlos mit dem Zeigefinger und die Kassiererin hilft mir mit den Geldscheinen, in dem sie sich aus dem riesigen Geldbündel, was ich in der Hand habe, die richtigen Scheine herauspickt. Münzen gibt es hier gar nicht. Als ich dann nachrechne habe ich für 2 EUR ein komplettes Mittagsmahl bekommen, bestehend aus Kartoffelbrei, Reis, Rindergeschnetzeltes und Krautsalat und dazu frisch gepressten Orangensaft.
Frisch gestärkt mache ich mich weiter auf den Weg in die Innenstadt. Der Verkehr ist chaotisch. Alles hupt und bewegt sich dabei nur Zentimeter nach vorne. Auf der großen Kreuzung von dem zentralen Platz der Stadt kämpft ein Polizist mit Pfeife und Handzeichen, um irgendwie Ordnung in den Verkehr zu bringen. Unter Einsatz meines Lebens versuche ich die Straßen zu überqueren. Es gibt kaum Fußgänger-Ampeln und selbst wenn die auf grün stehen, muss man sehr aufpassen um nicht überfahren zu werden. Aber vielleicht mache ich mir auch nur zu viele Gedanken. Die mongolischen Fußgänger stürzen sich auch mitten bei Rot auf die dicht befahrene mehrspurige Straße und kommen heil drüben an.
Um den Suchbataar-Platz, der nach dem kommunistischen Staatsgründer benannt ist, sind viele Sehenswürdigkeiten der Stadt gruppiert. Mitten auf dem Platz steht das neue Reiterdenkmal mit Dschingis Khan, dem Herrscher des mongolischen Weltreiches, das größte Reich, das je in der Geschichte der Menschheit existiert hat. Am hinteren Ende des Platzes befindet sich das beeindruckende Parlamentsgebäude. Gleich in der Nachbarschaft das Nationalmuseum für Geschichte der Mongolei, was ich auch gleich besichtige. Es gibt einen sehr guten Überblick über die Geschichte des Landes bis zur heutigen Zeit. Leider darf ich hier wieder keine Fotos machen.
Ich laufe noch weiter durch die Stadt und komme am Eisenbahnmuseum vorbei. Hier kann ich einige schöne Fotos von den Loks der vergangenen Zeiten machen und man erhält einen sehr guten Einblick in die Geschichte der mongolischen Eisenbahn, die sehr mit der Geschichte der Transsibirischen Eisenbahn verknüpft ist.
Müde erreiche ich das Guesthouse wieder und buche für die nächsten beiden Tage einen Ausflug in den nahe gelegenen Naturpark Terelji, der auch “Mongolische Schweiz” genannt wird. Dort werde ich auch in einem Ger (oder auch Jurte) genannten Zelt übernachten.
Voller Vorfreude auf die kommenden Tage beschließe ich den Abend ruhig, gehe in einem nahe gelegenen Restaurant noch kurz was Essen und schreibe noch ein paar Texte für meinen Blog.
Auf dem Weg in die Mongolei
Am Bahnhof steht Dambi. Der will sich noch das restliche Geld von mir geben lassen. Ich rechne im die Summe aus und wir verabschieden uns kühl.
Jetzt bin ich viel zu früh am Bahnhof und muss zwei Stunden warten. Aber das ist alle male besser als den Zug zu verpassen.
Heute verlasse ich den klassischen Weg der transsibirischen Eisenbahn und fahre über die transmongolische Strecke, die insgesamt bis nach Peking führt, bis zur Hauptstadt der Mongolei, Ulaanbaatar. Am Freitag werde ich aus der Mongolei wieder zurück nach Ulan-Ude kommen, um den Weg dann auf der klassischen Stracke wieder fortzusetzen.
Ich sitze in der Wartehalle und schaue auf die Anzeigetafel, aber das Gleis wird nicht angezeigt. Auch nicht für die Züge, die schon sehr bald abfahren. Irgendwie ist das Teil wohl defekt. In der großen Haupthalle entdecke ich dann einen Bildschirm und dort steht für meinen Zug in der Spalte die mit dem Buchstaben “L” überschrieben ist die Zahl 5. Ich kann mir das nicht richtig erklären, weil Bahnsteig auf Russisch mit “P” anfängt. Ich laufe dann über eine Treppe hoch und dann wieder runter zum Gleis 5. Weit und breit ist kein Zug zu sehen und auch keine Menschen, die auf den Zug warten. Dabei sollte der Zug schon lange eingetroffen sein. Leichte Panik befällt mich und ich laufe wieder zurück in die Halle. Dort steht immer noch die 5. In der Wartehalle sehe ich ein junges Backpacker Paar. Ich spreche sie an und ich habe Glück. Sie sind aus Slowenien und der Mann kann gut Russisch. In der Durchsage kam, dass der Zug verspätet ist und auf Gleis 1 abfährt, das direkt neben der Wartehalle liegt. Erleichtert warte ich die Ankunft des Zuges ab. Wir sind im gleichen Abteil und haben das gleiche Ziel: Ulaanbaatar in der Mongolei.
Die Eincheckprozedur habe ich ja nun schon zur Genüge beschrieben. Die Provodniza schickt mich zum Bett Nr. 21. Ich habe diesmal die sogenannte “Kupe”-Klasse gebucht, was 4 Bett-Abteil meint. Im Abteil ist ein junger Spanier, der aber schon nach kurzer Zeit zu seinen Freunden aus Spanien verschwindet und Paul, ein 61 Jahre alter, pensionierter Highschool-Lehrer aus Kalifornien. Nachdem er sich von seiner Frau getrennt hat, weil sie nach seiner Pensionierung nicht mit um die Welt reisen wollte, tourt er nun ein paar Monate durch Russland, Mongolei und China. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt und er ist ein sehr angenehmer Fahrgast.
Irgendwie verschwatzen wir uns und wir merken gar nicht, dass wir bereits den russischen Grenzbahnhof Nauschki erreichen. Ab dem Zeitpunkt sind für 3 Stunden die Toiletten zugesperrt und der Restaurantwagen wird abgehängt.
Sofort nach dem Stopp kommen die russischen Grenzbeamten in den Zug und sammeln unsere Pässe ein um sie mit ins Büro zu nehmen. Die Befragung erfolgt wirklich sehr freundlich und mit einem Lächeln im Gesicht. Irgendwie hatte ich das anders in Erinnerung. Danach kommen noch Zollbeamte, die das Abteil sorgfältig untersuchen. Wir scheinen aber nicht auffällig zu sein und so verabschieden sie sich bald auch wieder.
Nun heißt es warten, warten, warten. Die ganze Prozedur dauert 3 Stunden. Aber immerhin dürfen wir raus auf den Bahnsteig. Dort treffe ich zwei nette Schweizer Studentinnen und wir unterhalten uns prächtig. Sie kennen sogar die Gegend der Mörlialp.
Nach knapp 3 Stunden werden wir wieder in die Wagons zurück getrieben und uns werden die Pässe ausgehändigt. Alles klar, das wäre erst mal geschafft. Die Schaffnerin macht jetzt auch mal schnell für 15 Minuten die Toilette auf und es bildet sich sofort eine lange Schlange. Die Fahrt geht 30 Minuten weiter über die Grenze in die Mongolei. Hier ist auch ein hoher Zaun aufgebaut, wie an der Grenze zu Weißrussland. Wir erreichen den Grenzbahnhof Suchbaatar und die gleiche Prozedur beginnt von vorne. Nur brauchen die Mongolen die Hälfte der Zeit. Mittlerweile geht draußen ein heftiges Gewitter nieder und die Klimaverhältnisse im Abteil werden unerträglich, es ist heiß und schwül. Ich hole schnell bei der Provodniza zwei Bier und so lässt es sich einigermaßen aushalten. Es ist schon stockdunkel als wir endlich unsere Pässe zurück bekommen und die Fahrt weiter geht. Da wir morgen früh gegen 5 Uhr geweckt werden, macht Paul schnell das Licht aus und bei dem gleichmäßigen Rattern der Räder schlafe ich fest ein.
Ulan-Ude in Burjatien
Am Bahnsteig wartet schon mein Gastgeber Dambi. Er ist 29 Jahre alt, und wohnt allein in seinem Haus(teil) bei den Eltern und der verheirateten Schwester. Er selbst ist seit 5 Jahren geschieden. Schon voller Stolz erklärt er mir auf der Fahrt zum Haus, das er Burjate ist. Das Stadtbild sieht jetzt auch komplett anders aus, als in den Städten zuvor. Alle Menschen haben bereits ein mongolisches Aussehen. Aber die Burjaten stammen von den Mongolen ab. Nun habe ich wirklich das Gefühl in Asien angekommen zu sein.
Als wir von der befestigten Straße in einen Feldweg in Richtung ein paar Häuser abbiegen wird mir zum ersten Male mulmig. Schon bald erreichen wird über “Schlammwege” (auch hier hat es wohl am Vortage viel geregnet) den Hof der Familie. Beim Aussteigen kläfft der Hund hinter der hohen Umzäunung. Wir gehen über den Hof eine Holztreppe hinauf zu seinem Wohnungseingang. Als wir das Zimmer betreten wird mir zum zweiten Male mulmig. Die Wohnung hat zwei Zimmer, das erste ist die Küche kombiniert mit Wohnzimmercouch, das andere Zimmer, was nun mein Gastzimmer ist, ist Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Badzimmer, Klo in einem einzigen Raum. Alles steht offen rum, der Bereich unter der Badewanne und dem Klo ist gefliest. Dambi sagt mir, er hätte es bisher nicht geschafft das Badzimmer abzutrennen. Dabei hatte er mir auf der Fahrt erzählt, dass er zur Zeit arbeitslos ist und nach Jobmöglichkeiten schaut.
Wir beschließen schnell, sofort mit den Besichtigungstouren anzufangen. Er will mich zum Lamakloster Ivolginsk fahren, was ca. 40 km außerhalb von Ulan-Ude liegt. Es gilt als das religiöse Zentrum des Buddismus in Russland. Aber erst muss Dambi noch Öl und Benzin für sein Auto kaufen. Dazu erbittet er von mir einen Vorschuss auf den Zimmerpreis, der nach Angabe der Agentur bei 28 EUR liegt. Schnell lassen wir die Stadt hinter uns. Die Landschaft ist hügelig und fast gar nicht bewachsen. Auf dem Parkplatz vor dem Kloster herrscht dichtes Gedränge. Wir parken genau bei einem englischen Ambulanzwagen und fragen uns beide, wie der denn nach Burjatien kommt. Aus dem Ambulanzwagen steigen drei junge Männer. Schnell kommen wir ins Gespräch und erfahren, dass die drei einen, bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung gestifteten, Wagen von London in die Mongolei überführen. Sie sind bereits seit drei Wochen unterwegs durch ganz Russland und wollen den Wagen bald in Ulaanbaatar in der Mongolei einem Krankenhaus übergeben. Welch ein Trip!
Dambi besorgt noch kleinste Geldmünzen, die wir im Kloster brauchen. Der buddhistische Glaube besagt, dass man das Kloster erst so viel Mal im Uhrzeigersinn umkreisen muss, wie viel Jahre man alt ist. Wir belassen es bei einer Runde und hinterlassen jeweils bei den Gebetsmühlen, die ebenfalls im Uhrzeigersinn zu drehen sind, ein paar von den Münzen als milde Gabe. Später sehe ich auch Süßigkeiten und Nahrungsmittel. Im Kloster leben 60 Mönche und ca. 150 Klosterschüler. Nach einem ewig langen Weg mit vielen Gebetsmühlen erreichen wir das Hauptkloster. Es ist innen sehr prachtvoll gestaltet, überall sind Bilder und Statuen von Buddha, die jeweils einzeln verehrt und angebetet werden. Am Ende der Statuen darf man aber Buddha nicht einfach den Rücken zeigen und aus dem Kloster rausgehen, sondern man geht in ehrwürdiger Haltung rückwärts aus dem Raum.
Auf dem Parkplatz sprechen Dambi zwei junge Frauen an und wollen mit in die Stadt genommen werden. Ich habe nichts dagegen und wir fahren direkt zurück ins Stadtzentrum. Von der Unterhaltung verstehe ich zwar nicht viel, aber ich merke, dass Dambi ein wahrer Frauenheld ist. Dann meinen sie sogar, sie seien verwandt. Wir lassen die Damen an der nächsten Bus-Haltestelle aus dem Auto. Dambi meint nun, er wolle ja heute Abend mit mir Bier trinken und deswegen würde er das Auto lieber zuhause lassen. Ein guter Vorschlag, denn auf den Straßen habe ich schon mehr Unfälle gesehen wie all die Tage zuvor.
Wir fahren mit dem Bus in die Stadt und Dambi erklärt mir alle die Gebäude und geschichtlichen Hintergründe. Auf den großen Platz steht der größte Leninkopf in der Welt. Der Kopf war Ausstellungsstück im russischen Pavilon auf der Weltausstellung 1971 in Kanada. Am Ende der Ausstellung fand sich kein Interessent für das monströse Bauwerk und so schob man es nach Transbaikalien hier nach Ulan-Ude ab. Immer wieder fragt er mich auch nach meinen persönlichen Verhältnissen und ich denke, ich muss langsam vorsichtig sein, was ich ihm antworte. Ich glaube er erhofft sich auch eine gewisse Starthilfe für eine Geschäft oder einen Job in Deutschland. Wir laufen lange durch die Stadt und machen überall Fotos. Dann lade ich ihn auf ein Bier ein, was er gerne annimmt. Wir sind in einer Pizzeria, aber Dambi meint, dies sei nicht der richtige Platz um etwas zu essen. Deswegen gehen wir in ein burjatisches Restaurant und essen das Nationalgericht der Mongolen: Booza. Das sind Hackfleischbälle, die in einer Teigtasche gekocht bzw. mit Dampf gegart werden. Dambi zeigt mir genau wie man die heißen Teile ist. Zuerst beißt man ein Loch in den Teig, trinkt daraus den Fleischsaft ab, dann kann man sich weiter an das Fleisch vorarbeiten. Dazu gibt es einen sehr scharfen Senf, den man mit Essstäbchen auf dem Fleisch verteilt. Das Essen ist sehr lecker und wir bestellen gleich eine zweite Runde von jeweils 4 Bällchen.
Abschließend besuchen wir noch die russisch orthodoxe Kirche in der Nähe. Auch hier bin ich wieder beeindruckt von dem prachtvollen Inneren der Kirche. Nun gebe ich Dambi langsam zu verstehen, dass es für Zeit für den Heimweg ist. Anscheinend würde er mit mir jetzt noch gerne Party machen gehen. Aber ich bleibe hartnäckig und wir fahren mit dem Bus Richtung Haus. Unterwegs ruft er kurz einen Freund an und wir müssen an der nächsten Bushaltestelle lange vor dem Ziel aussteigen. Der Freund wird uns mit seinem Auto nach Hause bringen. Schon nach ein paar Minuten ist er da und wir fahren zu Dambis Haus. Er kommt noch kurz mit rein, verabschiedet sich dann aber sofort und meint er würde jetzt nochmal mit dem Freund zurück in die Stadt fahren.
Ich denke erst mal: kein Problem, geht ihr ruhig saufen! Ich arbeite noch ein wenig an meinen Texten und gehe dann bald schlafen. In der Nacht werde ich immer wieder wach, weil ich auf Dambis Rückkehr warte, aber selbst als der Morgen bereits graut, bin ich noch immer alleine in der Wohnung.
Sonnenschein in Irkutsk
Die Sonne weckt mich. Endlich hat der Regen aufgehört. Ein strahlend blauer Himmel präsentiert sich über Sibirien und dem Baikalsee. Galina wartet schon mit den Frühstück und heute gibt es sogar noch zusätzlich Wurst und Käse. Sie versucht wieder Kommunikation auf Russisch und einige Worte sind mir klar, aber das meiste verstehe ich nicht. Ich frage sie nach den Abfahrtszeiten des Busses und über einen Schreibblock können wir uns perfekt verständigen. Sie will mir auch ein Taxi rufen. Als ich nach 30 Minuten fertig gepackt habe, kommt ihr Sohn Andrej und öffnet das elektrische Garagentor. Dann holt er sein Auto raus und sagt nur Taxi. Ja, der Tourismus blüht und diese Familie gehört sicherlich zu den Gewinnern der Entwicklung. Andrej bringt mich mit meinem schweren Rucksack wieder zur Anlegestelle und will “nur” 150 Rubel haben, immerhin 50 weniger als der Freund der Rezeptionistin an der Tourist Information.
Ein Toyota-Minibus steht schon bereit zur Abfahrt nach Irkutsk. Ich bin noch alleine und verstaue meinen Rucksack im Kofferraum. Der Fahrer sagt mir auf Russisch, dass das Gepäck 30 Rubel extra kostet und ich habe ihn gleich verstanden. Schon nach ein paar Minuten setzen wir uns in Bewegung, obwohl ich erst dachte, dass der Bus solange wartet, bis genügend Leute zusammen sind. Wir fahren die Küstenstraße entlang des Baikal-Sees und schon stehen Leute am Rande der Straße und wollen mitgenommen werden. Der Stopp dauert nur Sekunden, alles geht flott. Dann setzen wir unsere Fahrt auf der hügeligen Straße Richtung Irkutsk fort. Rechts und links nur Wald. Immer mal wieder ein kleines Dorf. Die Straßen erinnern mich sehr an Schweden. Sie gehen Kilometer geradeaus, dann eine Kurve und wieder endlos geradeaus. Der Fahrer fährt einen sehr aggressiven Stil, überholt riskant und fährt bei über 100 km/h auf einen Meter zum Vordermann auf. Mir ist mulmig, aber die anderen Fahrgäste bleiben cool. Wahrscheinlich wird auch er nach gefahrenen Kilometern bezahlt wie die Busfahrer in der Stadt.
Nach ca. 50 Minuten erreichen wir den Stadtrand von Irkutsk. Der Bus ist mittlerweile fast voll von Leuten, die wir auf der Stracke eingesammelt haben. Nun wird der Fahrer aufgefordert an den gewünschten Stellen anzuhalten. Ich bleibe aber bis zur Endhaltestelle sitzen. Nachdem wir das Menschengewühl am Markt in Irkutsk durchfahren haben, kommen wir am sogn. Avtowaksal, dem Busbahnhof, an. Sofort erkenne ich auf der rechten Seite das Dekabristen-Museum, was ich vor 2 Tagen besichtigt habe. Es liegt nicht weit von dem Delta-Hotel entfernt. Ich entscheide mich zu laufen und die Straße kommen mir gleich wieder bekannt vor. Auch das Büro des Notars finde ich wieder. An der nächsten Straßenecke sehe ich schon das Hotel.
Beim Betreten der Hotelhalle werde ich schon mit meinem Namen begrüßt. So etwas habe ich sonst nur in sehr teuren Hotels erlebt. Ich muss vor 3 Tagen einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Schnell bekomme ich wieder das gleiche Zimmer und kostenlosen Zugang zum Internet, damit ich meine Bilder ins Netz kopieren kann. Nach einer schönen Dusche mache ich mich auf den Weg um die Teile der Stadt zu erkundigen, die ich wegen dem Orgelkonzert nicht mehr besichtigen konnte. Als erstes komme ich auf den großen Samstagsmarkt. Hier wimmelt es nur so von Leuten und alles ist sehr eng. Zum ersten Male fühle ich so ein Gefühl wie “Beklemmung”. Die angebotenen Waren sind vollkommen uninteressant für mich. Die angebotenen Kleidungsstücke sehen aus, als kämen sie bei uns aus der Altkleidersammlung. Ansonsten gibt es nur Unmengen von Tomaten, Gurken, Kohl und Kartoffeln. Es stehen sehr viele alte Frauen auf dem Markt, die sich wohl mit selbst gezogenem Gemüse die Rente aufbessern.
Schnell befreie ich mich aus dem Gewühl und gehe auf die feine Karl-Marx-Straße. Hier findet man schicke Geschäfte und man weiss gar nicht, wie die Leute sich das hier leisten können. Pavel in Moskau hatte mir erzählt, dass sich viele Menschen hoch verschulden, um den Luxus, den sie in der Öffentlichkeit zeigen, auch bezahlen zu können.
Ich gehe auf die in jeder russischen Stadt vorhandenen Ulitsa Lenina (Leninstraße) entlang. Überall sieht man prachtvolle Verwaltungsbauten und Denkmäler in der Stadt. Ich komme an den Fluss Angara mit dem Zarendenkmal, das sich hoch über einem großen Platz erhebt. Hier fahren pausenlos die Brautautos vor, damit die Fotografen in dem angrenzenden Park die Brautpaare fotografieren können.
In einem Rundweg erreiche ich wieder mein Hotel. Da ich mich die letzten beiden Tagen wegen des Regens nur von Tütennahrung ernährt habe, bestelle ich ein feines Abendessen im Restaurant. Ich bin der einzige Gast und 3 Kellnerinnen sorgen sich um mein Wohlsein. Das Essen schmeckt vorzüglich nur das Dessert hat schon zu lange in der Kühlvitrine gestanden.
Da ich morgen früh schon um 5 Uhr raus muss um meinen Zug nach Ulan-Ude zu erreichen, packe ich schon alle Sachen und gehe früh ins Bett.
Regen, Regen, Regen
Ich bin noch alleine im Frühstücksraum und Galina probiert ein wenig russische Kommunikation mit mir, die aber wegen meinem geringen Wortschatz sehr schnell zu Ende ist. Gerne würde ich mich fließender mit den Menschen unterhalten können.
Nun kommen zwei junge Paare aus Deutschland in den Frühstücksraum. Auch sie bekommen das gleiche Frühstück wie ich. Sie sind so in ihre Gespräche vertieft, dass sie mich gar nicht weiter beachten.
Ich trinke noch meinen Tee aus und überlege wie ich den Tag gestalten könnte. Durch den weiter heftigen Regen bleiben nicht viele Optionen. Ich gehe erst mal wieder auf mein Zimmer und schreibe noch etwas an meinen Berichten und mache es mir gemütlich beim Lesen. Gegen 14:00 lässt der Regen etwas nach und ich sehe eine Chance, doch etwas die Gegend zu erkundigen. Um auch dem Lagerkoller zu entgehen muss ich jetzt einfach mal vor die Türe, egal auch wenn es regnet. Ich ziehe mir die mitgeschleppten Regenklamotten an und laufe ins Dorf. Es gibt eigentlich nur die eine geteerte Hauptstraße, alle anderen Nebenstraßen sind unbefestigt und bei dem Regen wahre Schlammtümpel. Nur mühsam komme ich voran. Ich sehe die russisch orthodoxe Kirche und finde nur mühsam den Weg dorthin. Innen darf man keine Fotos machen, denn es sind immer einige betende Frauen in der Kirche. Seltener sehe ich auch mal Männer in der Kirche. In der Kirche steht kein Altar sondern an den Wänden hängen Bilder und Kreuze. Es gibt auch sehr viele Kerzenständer, denn die Frauen zünden in der Kirche immer eine dünne Kerze an.
Überall im Dorf entstehen neue Gebäude. Hier wachsen die Hotels und Pensionen für die Gäste von morgen. In einigen Fällen scheint allerdings die Finanzierung des Projektes nicht durchdacht worden zu sein . Zurück bleibt eine Bauruine die wohl Jahre lang das Dorfbild verschandeln wird.
Nun laufe ich zurück an die Uferstraße und gehe zum Hafen, dem Zentrum von Listvjanka. Eigentlich wird in den Reiseführern mehr aus dem Ort gemacht, als er wirklich ist. Wenige Häuser, ein großes Hotel und sonst nichts. Ich gehe weiter an den Hafenanlagen vorbei und entdecke den lokalen Markt. Dort stehen die Frauen und verkaufen den Omul-Fisch in verschiedenen Zubereitungen, auch getrocknet. Ich schaue mir das Ganze nur an und nehme vom Probieren Abstand. Bisher bin ich ohne Magen-Darm-Probleme und das soll auch so bleiben. An weiteren Tischen werden kitschige Souvenirs verkauft. Ich finde aber so gar nichts, was ich den Lieben daheim mitbringen könnte.
Es regnet nicht mehr so stark und so kann ich ganz schnell doch noch das ein oder andere Foto schießen ohne die Kamera zu gefährden.
Langsam mache ich mich auf den Rückweg, weil es nichts mehr zu entdecken gibt. Irgendwie hatte ich nach den Beschreibungen im Reiseführer mehr vom Baikalsee erwartet.
Im Hotel hänge ich erst mal die nassen Klamotten zum Trocknen auf, damit ich sie nicht morgen nass in den Rucksack packen muss. Der Rest des Abends verläuft unspektakulär. Ich mache ein Nachmittagsschläfchen und lese ein Buch über die Lehren des Buddha. Morgen geht es wieder zurück nach Irkutsk. Ich habe noch nicht genau entschieden ob wieder mit dem Boot oder mit dem Bus. Mal schauen wie das Wetter morgen so ist.
Regen am Baikalsee
Zurück im Zimmer nutze ich schnell noch die schnelle Internetverbindung des Hotels um die Bilder von meinem Stadtrundgang gestern ins Netz zu laden. Für das Verfassen der Texte habe ich jetzt keine Zeit mehr, denn ich muss noch meinen Rucksack packen.
Heute fahre ich mit dem Boot von Irkutsk über den angestauten Fluss Angara hinauf zum Baikalsee. Diesen Tipp habe ich von den beiden Studenten aus Dresden bekommen, die ich bei Elena in Novosibirsk getroffen habe. Das Boot heißt “RAKETA” und soll wirklich wie eine Rakete abgehen. Es ist ein sogn. Hydrofoil-Boot, was auf unter dem Kiel angebrachten Flügeln bei entsprechender Fahrt auf der Wasseroberfläche gleitet. Der Baikalsee ist riesig und 20 Prozent des gesamten Süßwasservorrates der Erde sind hier zu finden. Er hat mehr Wasser als die fünf großen Seen in Amerika/Kanada zusammen. Das liegt daran, dass er so unendlich tief ist, fast 1700 Meter. Außerdem wird er jedes Jahr zwei Zentimeter breiter und die Wissenschaftler gehen davon aus, dass hier ein neuer Ozean entstehen wird. In dem See leben im nördlichen Teil 60.000 Baikal-Robben, die ihren Artgenossen aus dem Meer sehr ähnlich sind, nur kann sich bis heute kein Wissenschaftler erklären, wie sie da hin gekommen sind und in dem Süßwasser leben können. Das Wasser soll sehr klar sein, bis zu 40 Meter soll man von der Oberfläche aus in die Tiefe schauen können. Ab Ende Oktober friert der See zu. Bei Eisstärken über einem Meter kann man mit dem Auto über den See fahren.
Mit dem Taxi erreiche ich die Bootsanlegestelle der “RAKETA”. Das Taxi ist äußerst günstig. Taxameter gibt es hier generell nicht. Der Taxifahrer hatte am Hotel den Kilometerzähler auf 0 gestellt um dann am Ziel den Fahrpreis korrekt ausrechnen zu können. Schnell finde ich das Kassenhäuschen und kaufe ein einfaches Ticket nach Listvjanka, ein kleines Dorf am Baikalsee. Dort hatte ich über “Helen’s Homestay” das “Family Hotel Dauria” gebucht. Es soll nicht direkt am See liegen, aber mitten in der Gemeinde in dem interessanten Tal mit all den dort vorhandenen Sehenswürdigkeiten.
Ich muss nur eine halbe Stunde warten bis das Boot anlegt. Sofort setzen sich alle wartenden Passagiere in Bewegung und gehen zum Boot. Draußen ist es windig und kalt. Auf dem aufgestauten Fluss kräuseln sich die Wellen. Um mich rum sind jede Menge “Backpacker”, aber fast alles Russen. Durch den engen Eingang steige ich ins Boot und mein nummerierter Platz ist gleich neben der Türe. Es gibt kaum Platz für die Gepäckablage, aber mit viel Palaver wird alles irgendwie verstaut. Und schon geht die Fahrt los. Das Boot erinnert mich schon auf den ersten Metern an das ferngesteuerte Rennboot was ich mal zusammen mit meinem Sohn vor langer Zeit gebaut habe. In einem irren Tempo setzt es rückwärts aus dem Hafen um dann erst richtig schnell nach vorne loszubrausen. Man merkt wie sich das Boot aus dem Wasser hebt und nun beginnt der Höllenritt auf der durch Wellen unebenen Wasseroberfläche. Es fühlt sich an, als würden wir mit 100 Sachen über einen unebenen Feldweg fahren.
Nach einer Stunde erreiche ich Listvjanka. Ich muss schnell meinen Rucksack aufsetzen um nicht den Ausstieg zu verpassen. Die meisten Passagiere fahren wohl noch weiter nach Norden den See hinauf. Am Pier muss ich mich erst einmal orientieren. Weit und breit kann ich kein Taxi erkennen, nur Minibusse warten auf Passagiere. Plötzlich sehe ich die Touristeninformation und ein Schild, dass sie Englisch sprechen können. Die junge Frau an der Rezeption ist sehr hilfreich und will mir ein Taxi rufen. Mein Ziel ist nur ca. 2 Kilometer entfernt. Schon nach einer Minute ist der “Taxifahrer” da, ich denke es ist ihr Freund mit seinem Privatauto, der die Touristen in die umliegenden Hotels fährt. Es soll 200 Rubel (5 EUR) kosten, ein stolzer Preis im Vergleich zur über 10 km langen Fahrt zur RAKETA, wo ich nur 180 Rubel bezahlt habe. Im Kofferraum des “Taxis” liegt eine Plastiktüte mit ca. 20 tote n Fischen, die der Fahrer mit einem anderen Mann aufteilt. Es ist der Omul-Fisch, ein lachsartiger Fisch, ca. 25-35 cm lang, der hier im See gefangen wird und auf verschiedenste Arten zubereitet wird. Getrocknet wird er als Delikatesse angeboten. Mein Kollege in Moskau hat mich bereits vorgewarnt, ich soll ja nicht den getrockneten Fisch essen, da könnten Würmer drin sein, die zu ernsthaften gesundheitlichen Gefahren werden könnten.
Wir fahren die Straße am See entlang und nach kurzer Zeit biegt er nach rechts in das Dorf hinein. Nach wenigen hundert Metern erreichen wir das Ziel und auf dem Schild des Hauses kann ich lesen, dass wir richtig sind. Er klingelt noch an dem großen eisernen Tor und schon kommt die nette Hotelbesitzerin, die mich gleich beim Namen nennt. Sie hat mich wohl schon früher erwartet. Sie zeigt mir das “Luxe”-Zimmer. Es ist ein Zwei-Bett Zimmer. Sie haben hier auch noch Schlafräume für bis zu 8 Personen. Es ist einfach aber nett gestaltet, hat eine separate Toilette und eine kleine Kochecke mit Wasserkocher für den Tee.
Draußen regnet es mittlerweile stärker und ich beschließe, erst einmal ein paar Texte zu schreiben. Schon bald fallen mir die Augen zu und ich mache erst mal ein kleines Mittagsschläfchen. Als ich wieder aufwache, gießt es in Strömen. Der Himmel ist grau in grau verhangen und ich sehe keine Hoffnung für diesen Tag mehr, dass das Wetter besser werden wird. Ein Check der Wettervorhersage bestätigt dies, leider ist auch für die kommenden beiden Tage das Wetter mit schwerem Regen vorhergesagt.
Ich bleibe im Zimmer und lese und höre Musik. Heute Abend werde ich zum ersten Male auf meine “Globetrotter” Notessensrationen zurückgreifen. Das sind Aluminiumbeutel, in dem sich in getrocknetem Zustand jeweils eine köstliche Mahlzeit befindet. Man muss nur 300 ml kochen heißes Wasser aufgießen und nach 10 Minuten hat man die fertige Mahlzeit. Ich entscheide mich für “Chili-con-Carne”. Mit dem vorhanden Wasserkocher ist das Wasser schnell zubereitet und der Rest ist wirklich einfach. Der Geschmack ist auch ganz OK wenn man nichts besseres hat. Aber die russische Küche hat mich in den letzten Tagen doch zu sehr verwöhnt.
Schnell wird es draußen dunkel und der Regen hämmert immer noch unablässig auf die Vordächer aus Aluminium. Ich beschließe den Tag ganz gemütlich mit Schreiben und Lesen. Heute habe ich sogar den ersten Artikel für meine englisch sprechenden Kollegen übersetzt.
Kultur in Irkutsk
Schon 50 Minuten vor der Ankunft kommt die Provodniza und will das Abteil aufräumen. Auch sammelt sie die hübschen Teegläser wieder ein. Sie sind immer sehr darauf bedacht, dass alles in bester Ordnung ist. Ich überrede sie mit Händen und Füßen mir das Teeglas zu verkaufen. Aber erst verschwindet sie, um den Preis zu “erfragen”. Ich denke, sie überlegt erst mal eine Weile, wie viel sie dem dummen Touristen aus der Tasche ziehen kann. Sie kommt mit dem Vorschlag von 1500 Rubel (40 EUR) Ich handele sie auch 1000 (25 EUR) runter. Ich denke, das ist immer noch ein sehr hoher Preis, aber für mich später ein schönes Andenken an die Reise.
Wieder kommen wir auf die Minute pünktlich im Bahnhof an. Die französische Familie wünscht mir “Bon voyage”. Und ich gehe langsam zum Bahnhofsvorplatz.
Heute musste ich zum ersten Male meine Reisepläne ändern. Ich hatte hier in Irkutsk ein Zimmer bei “Helen’s Homestay” gebucht. Doch Helen schrieb mir per Email, dass sie leider aus familiären Gründen die Buchung stornieren müsste. Schade, ich hatte mich schon darauf gefreut und günstig war die Unterkunft auch. So habe ich dann bereits in Krasnojarsk das Delta-Hotel hier in Irkutsk gebucht. Es liegt in der Ulitsa Karla Liebknechta 58. Also der Karl-Liebknecht-Straße.
Ich laufe an den ganzen lästigen Taxifahrern vorbei, die die Touristen umschwärmen wie Fliegen den Misthaufen. In einem fast neuen Ford sitzt ein Taxifahrer Typ russischer Opa. Er steigt sofort aus, als er mich kommen sieht und hilft mir mit dem Rucksack. Ich erkläre ihm mein Ziel, was er sofort kennt, und ab geht die Fahrt durch das pittoreske Irkutsk, das auch “Paris Sibiriens” genannt wird. Schon bald erreichen wir das Hotel. Der alte Stadtkern ist nicht so groß wie die großen Städte, die ich zuvor besichtigt habe. An der Rezeption wird mir dann eröffnet, dass ich das gebuchte Zimmer leider nicht haben kann, weil alles voll ist. Aber sie könnten mir zu einem wesentlich günstigeren Preis (die Hälfte) ein einfacheres Zimmer anbieten. Ich schaue mir kurz das Zimmer an und es ist Luxus pur im Vergleich zu dem Zimmer in Ekaterinburg. Alles ist neu und sauber und ich nehme es sofort. Ich muss nur noch auf die Reinigung warten, aber das ist in wenigen Minuten erledigt. Da ich noch nicht gefrühstückt hatte und es nun bereits 13:00 ist (allerdings hatte ich wieder mal eine zusätzliche Stunde Zeitverschiebung, nun insgesamt 7 Stunden zu Deutschland) gehe ich ins Restaurant. Es ist noch übervoll und leider bekomme ich keinen Platz mehr. Ich soll in einer Stunde wiederkommen. Ich nutze die kostenlose Internetverbindung und stelle die nächsten Bilder und Berichte ins Netz. Nach einer Stunde ist das Restaurant leer. Ich soll mich zwischen Business-Lunch oder Menü entscheiden. Ich setze voll auf Risiko, denn ich kann auf der russischen Menükarte nicht lesen, was ich zu essen bekomme. Es geht los mit einem schmackhaften Salat aus kleingeschnittenen Möhren, Gurken und Schinkenwürfeln und Erbsen, die mit einer sehr delikaten Soße angemacht sind. Danach kommt eine Lachs-Fischsuppe. Das Hauptgericht ist Rindergulasch mit Kartoffelbrei. Ein Desert und Tee kommt auch noch. Und für alles das bezahle ich gerade mal 7 EUR.
Ich schnappe mir meine Kamera und erobere die Stadt. Schon im Vorfeld habe ich den Reiseführer studiert und mir einen Überblick verschafft. Ich plane einen Rundgang, auf dessen Strecke ich möglichst alle Sehenswürdigkeiten ablaufen will. Als erstes steht das Dekabristen Museum auf dem Plan.
Dekabristen werden nach einer Revolution im Dezember 1825 in Russlands damaliger Metropole St. Petersburg benannt. Damals versuchten aufständische junge Adlige den Zar Nikolaj I. zu stürzen. Doch durch Verrat war der Zar vorgewarnt und konnte den Putsch vereiteln. Zur Strafe wurden die Anführer im Juli 1826 hingerichtet und 121 Mitstreiter wurden zu lebenslänglicher Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Sie lebten hier in Irkutsk und in Chita und werden heute noch als Freiheitskämpfer in der sibirischen Bevölkerung sehr verehrt.
Beim Gehen durch die Straßen entdecke ich einen Vertreter unserer Zunft: Ein Notar hat hier sein unscheinbares Büro.
Mein weiterer Weg führt sich zu einer Ansammlung von Kirchen. Auch steht hier die ehemals katholische Kirche der polnischen Gemeinde. Das Haus wird aber heute nur noch als Orgelkonzertsaal benutzt. Beim Vorbeilaufen erblicke ich ein Plakat und kann lesen, dass heute um 18:00 ein Orgelkonzert stattfindet. Auf dem Programm stehen Werke von Johann Sebastian Bach, C. Frank und Sergei Sergejewitsch Prokofjew. Es ist 17:15! Ist das nicht ein Zufall, spontan beschließe ich das Konzert zu besuchen. Die Zeit bis zum Konzert schaue ich mich noch ein wenig in der Gegend um. Nach und nach kommen vor der orthodoxen Kirche ein Brautauto nach dem anderen an. Die Bräute übertreffen sich jeweils in Schönheit und Prunk. Auch die Autos sind sehr aufwendig geschmückt. Und schnell wird klar, dass für die Hochzeit wohl die letzten finanziellen Reserven mobilisiert werden um das schönste Fest des Lebens zu veranstalten.
Um kurz vor 18:00 werden wir in die “Kirche” eingelassen. Für mich überraschend ist der Raum fast komplett mit Zuhörern gefüllt. Auch sind sehr viele junge Zuhörer anwesend. Der Organist kommt vor die Orgel, die nun an der Stelle des Altares eingebaut wurde und gibt vor jedem Stück jeweils eine mündliche Einführung. Ein schriftliches Programm gibt es leider nicht. Danach spielt er jeweils ein Stück. Sehr aufmerksam lauschen die Zuhörer seinen Darbietungen. Es sind durchweg einfache Stücke und ich nehme mir vor, auch wieder mal Orgel zu spielen.
Als ich wieder aus der Kirche rauskomme, ist es bereits am Dämmern und deutlich kälter. Noch liegt eine enorme Route vor mir um wieder zum Hotel zu gelangen. Ich ändere deswegen meine Pläne und laufe direkt zum Bahnhof, den ich diesmal schon vor meiner Abreise fotografieren will. Außerdem erhoffe ich mir von dort die besten Möglichkeiten mit dem Bus Richtung Hotel zu kommen.
Am Bahnhof schaue ich mir die verschiedenen Ziele der Busse an. Langsam kann ich die Namen auf den Schildern schnell genug lesen. Es kommt Bus 80 der Richtung Aeroport (Flughafen) fährt. In dieser Richtung liegt mein Hotel. Ich frage den Fahrer, ob er Richtung Delta-Hotel fährt und er gibt mir zu verstehen, dass ich hier richtig bin. Ich setze mich gleich auf die erste Bank und er nickt mir zu, dass er mir die Haltestelle beim Hotel zeigen wird.
Wir fahren durch die Stadt. Weil es schon so spät ist steigen nicht mehr viele Menschen zu. Plötzlich erkenne ich die Karl-Liebknecht-Straße und schon sehe ich das Hotel. Direkt vor dem Hotel hält er an. Eine Haltestelle ist nicht zu erkennen, also hat er extra für mich angehalten. Als ich ihm dann noch den Fahrpreis von 10 Rubel (25 Cent) geben will, winkt er nur ab. Als ich aus dem Bus steige winkt er mir noch freundlich hinterher.
Im Hotel herrscht lauter Trubel. Laute Musik kommt aus dem Restaurant. Es findet dort eine russische Hochzeitsfeier statt. Die Tische biegen sich unter der prall gefüllten Tafel. Alles ist sehr fein geschmückt und eine Band macht dazu laute Musik. Ich frage das Personal, ob ich noch etwas essen kann und werde dann in einen ruhigen Nebenraum geführt. Die Speisekarte ist so reichhaltig, dass ich mich nur schwer entscheiden kann. Ich bestelle Cäsar-Salat als Vorspeise und danach Schweinemedaillons mit Kartoffelgratin, dazu ein großes Bier. Alles schmeckt ausgezeichnet. Als ich wieder zurück durch den Hochzeitssaal laufe, machen die Russen gerade Hochzeitsspiele wie wir sie auch bei uns kennen. Eine junge Frau wird wohl gerade zur nächsten Braut gekürt. Satt und zufrieden gehe ich in mein schönes Zimmer und schlafe bald ein.
Krasnojarsk II
Ich lasse mir Zeit mit dem Aufstehen, weil ja schon wieder eine Stunde Zeitverschiebung hinzugekommen ist. Alexanders Mutter schaut vorsichtig in mein Zimmer und will wissen, ob ich frühstücken möchte. Gerne doch, sage ich auf Russisch. Schnell geduscht und in die Klamotten und dann erlebe ich in der Küche eine wirkliche Überraschung. Sie hat schon warmes Essen für mich gekocht, Hühnchen mit Kartoffeln. Dazu frische Tomaten und Gurken, die Alexandr gestern von seinen Schwiegereltern aus dem Garten mitgebracht hat. Dazu noch ein großes Glas frische Heidelbeeren, die der Schwiegervater im Wald gepflückt hat. Das Frühstück schmeckt mir sehr.
Nun erkunde ich noch weitere Teile der Stadt, die ich bisher noch nicht gesehen habe. Ich fahre diesmal mit dem Bus gleich in die richtige Richtung und steige mitten in der Stadt aus. Ich mache mich auf den Weg Richtung Enisej, dem großen Fluss, der auch durch einen riesigen Staudamm große Mengen Strom für die Region produziert. Ich finde eine wunderschöne Promenade entlang des Flusses und laufe diese Richtung Stadtausgang. Überall sitzen die Leute auf den Bänken und genießen die letzten Sonnenstrahlen. Ich denke der Sommer wird hier bald zu Ende sein und der Herbst ist nur sehr kurz. Dann werden die Menschen hier wieder einen langen, harten Winter haben. Ich mache Fotos und sehe bestimmt aus wie ein richtiger Tourist. Plötzlich spricht mich eine Frau an und fragt mich, wo ich herkomme. Ich sage aus Deutschland. Sie kramt die letzten Worte Englisch aus ihrem Gedächtnis hervor, nur um sich mit mir zu unterhalten. Sie will genau die Strecke wissen, die ich bisher zurückgelegt habe und die ich noch vor mir habe. Sie wünscht mir viel Glück für die weitere Reise und verabschiedet sich, weil jetzt ihre Mittagspause vorüber ist. Die Menschen sind einfach so freundlich zu Fremden!
Ich gehe auch mal in die Geschäfte rein und schau mir das lokale Angebot an. Irgendwie ist vieles Krimskrams und würde so bei uns nie verkauft werden können. Vieles erscheint mir kitschig. Aber natürlich gibt es auch überall die Nobelboutiquen, wie man sie in allen europäischen Großstädten auch findet.
Ich fahre jetzt mit dem Bus ein Stück weiter Richtung einer Kirche, die ich am Morgen gesehen hatte. Auf einer Kreuzung nahe der Kirche war am Morgen ein kleiner Unfall passiert. Zwei Fahrzeuge hatten sich in der Kreuzung berührt, man konnte nicht mal richtig eine Beule erkennen. Nach drei Stunden saßen die beiden Fahrer in ihren Wagen mitten auf der Kreuzung, blockierten den ganzen Verkehr und warteten wahrscheinlich auf die Polizei. Obwohl der Verkehr chaotisch abläuft, passiert eigentlich recht wenig.
Ich fotografiere weiter die interessantesten Ansichten (man könnte andauernd auf den Auslöser drücken). Für die Reise im Zug will ich noch schnell ein paar Kleinigkeiten im Supermarkt besorgen. Auch hier sehe ich das riesige Angebot. Alles ist sehr sauber, überall findet man Markenartikel, die man sofort erkennt. Schnell habe ich die paar Sachen zusammen und gönne mir danach noch ein Magnum Eis auf der Bank vor der Kirche. Die Lebensmittel sind dabei sehr preiswert.
Ich fahre zurück zur Wohnung, weil ich noch meine Sachen zusammenpacken muss. Alexandr will mich zum Bahnhof fahren. Im Bus entdecke ich wieder den Busfahrer von gestern. Auch er erkennt mich auch und begrüßt mich herzlich. Beim Ausstieg winkt er mir noch extra hinterher.
Zuhause hat Alexanders Mutter schon das Mittagessen gekocht. Ich habe sogar die Auswahl zwischen Spaghetti oder Suppe. Sie hat schon das große Glas Heidelbeeren in Marmelade verwandelt. Ich packe schnell, denn es wird langsam Zeit für die Fahrt zum Bahnhof. Alexandr ist noch nicht zurück von einer Geschäftsbesprechung. Als er nach ein paar Minuten kommt, teilt er mir mit, dass er mich leider nicht fahren kann. Er hat noch wichtige Dinge zu erledigen. Aber er nimmt sich die Zeit, um mich zum Bus zu bringen, der mich direkt zum Hauptbahnhof fahren wird. Er trägt sogar meine Tasche und wartet solange, bis ich in den Bus eingestiegen bin.
Nach 30 Minuten erreiche ich den Waksal (Bahnhof) und sehe erst jetzt das wunderschöne Bahnhofsgebäude. Leider habe ich meine Kamera im Rucksack verstaut und kann kein Bild machen. Außerdem wird es schon Zeit sich zum Bahnsteig zu begeben. Auf der Anzeigetafel steht schon das Gleis des berühmten “Baikal-Express” (Zug Nr. 10), mit dem ich heute nach Irkutsk fahren werde.
Zum ersten Mal sehe ich den Zug, den ich nehmen werde, in den Bahnhof einfahren. Bisher standen alle Züge immer schon bereit. Nachdem der Zug stoppt und die Türen geöffnet werden, putzen die Provodnizas die Griffe an den Wagen mit feuchten Lappen sauber bevor die Passagiere aussteigen dürfen. Da mein Wagen in der Nähe der Bahnsteigtreppe hält, erreiche ich nach der obligatorischen Fahrscheinkontrolle vor dem Wagen heute mal ohne Schwitzen mein Abteil. Erst denke ich, dass ich schon wieder allein fahren werde, aber 20 Minuten nach der Abfahrt kommt doch noch ein junger Mann ins Abteil. Er verstaut aber nur kurz seine Sachen, zieht sich komplett um (bequeme Jogging-Klamotten) und verschwindet wieder ins Nachbarabteil zu seinen Verwandten. Später kommt er dann zurück und legt sich sofort schlafen.
Draußen ist die Landschaft sehr viel interessanter als bisher. Alles ist sehr hügelig und an den Hängen sieht man kleine Dörfer mit einfachen Holzhäusern. Die Strecke ist sehr kurvig und ich kann aus dem Fenster in einem sehr spitzen Winkel die Lok vorne sehen. Dann geht auch noch glutrot die Sonne unter. Ein herrlicher Anblick!
Nun ist es doch Zeit noch etwas essen zu gehen. Im Speisewagen treffe ich die französische Familie aus dem Nachbarabteil. Die Eltern wohnen in Chile, einer der Söhne in Zürich. Er arbeitet für eine Privatbank. Wir unterhalten und über die Reise und Gott-und-die-Welt. Wir tauschen auch unsere Email-Adressen aus und wollen uns bei nächster Gelegenheit in Frankfurt mal wieder treffen. Auch sie fahren alle an den Baikalsee und die Chance ist groß, dass wir uns dort wieder treffen.
Satt und zufrieden kehre ich zurück zum Abteil, bei der ein oder anderen Station steige ich nochmal kurz aus, um das geschäftige Treiben am Bahnsteig zu beobachten. Dann ist wirklich Zeit zum Schlafen gehen.