postheadericon Kultur in Irkutsk

Da mein Zug erst 12:38 im Bahnhof Irkutsk ankommen wird, lasse ich mir mit dem Aufstehen Zeit. Im Bett liegend sehe ich die Landschaft vorbeiziehen. Es ist schon richtig herbstlich  draußen. Nebelschleier (diesmal bin ich mir sicher, dass es kein Rauch ist!) liegen über den Wiesen. Der Himmel ist grau in grau. Und ein wenig Melancholie macht sich in mir breit.

Schon 50 Minuten vor der Ankunft kommt die Provodniza und will das Abteil aufräumen. Auch sammelt sie die hübschen Teegläser wieder ein. Sie sind immer sehr darauf bedacht, dass alles in bester Ordnung ist. Ich überrede sie mit Händen und Füßen mir das Teeglas zu verkaufen. Aber erst verschwindet sie, um den Preis zu “erfragen”. Ich denke, sie überlegt erst mal eine Weile, wie viel sie dem dummen Touristen aus der Tasche ziehen kann. Sie kommt mit dem Vorschlag von 1500 Rubel (40 EUR) Ich handele sie auch 1000 (25 EUR) runter. Ich denke, das ist immer noch ein sehr hoher Preis, aber für mich später ein schönes Andenken an die Reise.

Wieder kommen wir auf die Minute pünktlich im Bahnhof an. Die französische Familie wünscht mir “Bon voyage”. Und ich gehe langsam zum Bahnhofsvorplatz.

Heute musste ich zum ersten Male meine Reisepläne ändern. Ich hatte hier in Irkutsk ein Zimmer bei “Helen’s Homestay” gebucht. Doch Helen schrieb mir per Email, dass sie leider aus familiären Gründen die Buchung stornieren müsste. Schade, ich hatte mich schon darauf gefreut und günstig war die Unterkunft auch. So habe ich dann bereits in Krasnojarsk das Delta-Hotel hier in Irkutsk gebucht. Es liegt in der Ulitsa Karla Liebknechta 58. Also der Karl-Liebknecht-Straße.

Ich laufe an den ganzen lästigen Taxifahrern vorbei, die die Touristen umschwärmen wie Fliegen den Misthaufen. In einem fast neuen Ford sitzt ein Taxifahrer Typ russischer Opa. Er steigt sofort aus, als er mich kommen sieht und hilft mir mit dem Rucksack. Ich erkläre ihm mein Ziel, was er sofort kennt, und ab geht die Fahrt durch das pittoreske Irkutsk, das auch “Paris Sibiriens” genannt wird. Schon bald erreichen wir das Hotel. Der alte Stadtkern ist nicht so groß wie die großen Städte, die ich zuvor besichtigt habe. An der Rezeption wird mir dann eröffnet, dass ich das gebuchte Zimmer leider nicht haben kann, weil alles voll ist. Aber sie könnten mir zu einem wesentlich günstigeren Preis (die Hälfte) ein einfacheres Zimmer anbieten. Ich schaue mir kurz das Zimmer an und es ist Luxus pur im Vergleich zu dem Zimmer in Ekaterinburg. Alles ist neu und sauber und ich nehme es sofort. Ich muss nur noch auf die Reinigung warten, aber das ist in wenigen Minuten erledigt. Da ich noch nicht gefrühstückt hatte und es nun bereits 13:00 ist (allerdings hatte ich wieder mal eine zusätzliche Stunde Zeitverschiebung, nun insgesamt 7 Stunden zu Deutschland) gehe ich ins Restaurant. Es ist noch übervoll und leider bekomme ich keinen Platz mehr. Ich soll in einer Stunde wiederkommen. Ich nutze die kostenlose Internetverbindung und stelle die nächsten Bilder und Berichte ins Netz. Nach einer Stunde ist das Restaurant leer. Ich soll mich zwischen Business-Lunch oder Menü entscheiden. Ich setze voll auf Risiko, denn ich kann auf der russischen Menükarte nicht lesen, was ich zu essen bekomme. Es geht los mit einem schmackhaften Salat aus kleingeschnittenen Möhren, Gurken und Schinkenwürfeln und Erbsen, die mit einer sehr delikaten Soße angemacht sind. Danach kommt eine Lachs-Fischsuppe. Das Hauptgericht ist Rindergulasch mit Kartoffelbrei. Ein Desert und Tee kommt auch noch. Und für alles das bezahle ich gerade mal 7 EUR.

Ich schnappe mir meine Kamera und erobere die Stadt. Schon im Vorfeld habe ich den Reiseführer studiert und mir einen Überblick verschafft. Ich plane einen Rundgang, auf dessen Strecke ich möglichst alle Sehenswürdigkeiten ablaufen will. Als erstes steht das Dekabristen Museum auf dem Plan.

Dekabristen werden nach einer Revolution im Dezember 1825 in Russlands damaliger Metropole St. Petersburg benannt. Damals versuchten aufständische junge Adlige den Zar Nikolaj I. zu stürzen. Doch durch Verrat war der Zar vorgewarnt und konnte den Putsch vereiteln. Zur Strafe wurden die Anführer im Juli 1826 hingerichtet und 121 Mitstreiter wurden zu lebenslänglicher Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Sie lebten hier in Irkutsk und in Chita und werden heute noch als Freiheitskämpfer in der sibirischen Bevölkerung sehr verehrt.

Beim Gehen durch die Straßen entdecke ich einen Vertreter unserer Zunft: Ein Notar hat hier sein unscheinbares Büro.

Mein weiterer Weg führt sich zu einer Ansammlung von Kirchen. Auch steht hier die ehemals katholische Kirche der polnischen Gemeinde. Das Haus wird aber heute nur noch als Orgelkonzertsaal benutzt. Beim Vorbeilaufen erblicke ich ein Plakat und kann lesen, dass heute um 18:00 ein Orgelkonzert stattfindet. Auf dem Programm stehen Werke von Johann Sebastian Bach, C. Frank und Sergei Sergejewitsch Prokofjew. Es ist 17:15! Ist das nicht ein Zufall, spontan beschließe ich das Konzert zu besuchen. Die Zeit bis zum Konzert schaue ich mich noch ein wenig in der Gegend um. Nach und nach kommen vor der orthodoxen Kirche ein Brautauto nach dem anderen an. Die Bräute übertreffen sich jeweils in Schönheit und Prunk. Auch die Autos sind sehr aufwendig geschmückt. Und schnell wird klar, dass für die Hochzeit wohl die letzten finanziellen Reserven mobilisiert werden um das schönste Fest des Lebens zu veranstalten.

Um kurz vor 18:00 werden wir in die “Kirche” eingelassen. Für mich überraschend ist der Raum fast komplett mit Zuhörern gefüllt. Auch sind sehr viele junge Zuhörer anwesend. Der Organist kommt vor die Orgel, die nun an der Stelle des Altares eingebaut wurde und gibt vor jedem Stück jeweils eine mündliche Einführung. Ein schriftliches Programm gibt es leider nicht. Danach spielt er jeweils ein Stück. Sehr aufmerksam lauschen die Zuhörer seinen Darbietungen. Es sind durchweg einfache Stücke und ich nehme mir vor, auch wieder mal Orgel zu spielen.

Als ich wieder aus der Kirche rauskomme, ist es bereits am Dämmern und deutlich kälter. Noch liegt eine enorme Route vor mir um wieder zum Hotel zu gelangen. Ich ändere deswegen meine Pläne und laufe direkt zum Bahnhof, den ich diesmal schon vor meiner Abreise fotografieren will. Außerdem erhoffe ich mir von dort die besten Möglichkeiten mit dem Bus Richtung Hotel zu kommen.

Am Bahnhof schaue ich mir die verschiedenen Ziele der Busse an. Langsam kann ich die Namen auf den Schildern schnell genug lesen. Es kommt Bus 80 der Richtung Aeroport (Flughafen) fährt. In dieser Richtung liegt mein Hotel. Ich frage den Fahrer, ob er Richtung Delta-Hotel fährt und er gibt mir zu verstehen, dass ich hier richtig bin. Ich setze mich gleich auf die erste Bank und er nickt mir zu, dass er mir die Haltestelle beim Hotel zeigen wird.

Wir fahren durch die Stadt. Weil es schon so spät ist steigen nicht mehr viele Menschen zu. Plötzlich erkenne ich die Karl-Liebknecht-Straße und schon sehe ich das Hotel. Direkt vor dem Hotel hält er an. Eine Haltestelle ist nicht zu erkennen, also hat er extra für mich angehalten. Als ich ihm dann noch den Fahrpreis von 10 Rubel (25 Cent) geben will, winkt er nur ab. Als ich aus dem Bus steige winkt er mir noch freundlich hinterher.

Im Hotel herrscht lauter Trubel. Laute Musik kommt aus dem Restaurant. Es findet dort eine russische Hochzeitsfeier statt. Die Tische biegen sich unter der prall gefüllten Tafel. Alles ist sehr fein geschmückt und eine Band macht dazu laute Musik. Ich frage das Personal, ob ich noch etwas essen kann und werde dann in einen ruhigen Nebenraum geführt. Die Speisekarte ist so reichhaltig, dass ich mich nur schwer entscheiden kann. Ich bestelle Cäsar-Salat als Vorspeise und danach Schweinemedaillons mit Kartoffelgratin, dazu ein großes Bier. Alles schmeckt ausgezeichnet. Als ich wieder zurück durch den Hochzeitssaal laufe, machen die Russen gerade Hochzeitsspiele wie wir sie auch bei uns kennen. Eine junge Frau wird wohl gerade zur nächsten Braut gekürt. Satt und zufrieden gehe ich in mein schönes Zimmer und schlafe bald ein.

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