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Krasnojarsk II
Ich lasse mir Zeit mit dem Aufstehen, weil ja schon wieder eine Stunde Zeitverschiebung hinzugekommen ist. Alexanders Mutter schaut vorsichtig in mein Zimmer und will wissen, ob ich frühstücken möchte. Gerne doch, sage ich auf Russisch. Schnell geduscht und in die Klamotten und dann erlebe ich in der Küche eine wirkliche Überraschung. Sie hat schon warmes Essen für mich gekocht, Hühnchen mit Kartoffeln. Dazu frische Tomaten und Gurken, die Alexandr gestern von seinen Schwiegereltern aus dem Garten mitgebracht hat. Dazu noch ein großes Glas frische Heidelbeeren, die der Schwiegervater im Wald gepflückt hat. Das Frühstück schmeckt mir sehr.
Nun erkunde ich noch weitere Teile der Stadt, die ich bisher noch nicht gesehen habe. Ich fahre diesmal mit dem Bus gleich in die richtige Richtung und steige mitten in der Stadt aus. Ich mache mich auf den Weg Richtung Enisej, dem großen Fluss, der auch durch einen riesigen Staudamm große Mengen Strom für die Region produziert. Ich finde eine wunderschöne Promenade entlang des Flusses und laufe diese Richtung Stadtausgang. Überall sitzen die Leute auf den Bänken und genießen die letzten Sonnenstrahlen. Ich denke der Sommer wird hier bald zu Ende sein und der Herbst ist nur sehr kurz. Dann werden die Menschen hier wieder einen langen, harten Winter haben. Ich mache Fotos und sehe bestimmt aus wie ein richtiger Tourist. Plötzlich spricht mich eine Frau an und fragt mich, wo ich herkomme. Ich sage aus Deutschland. Sie kramt die letzten Worte Englisch aus ihrem Gedächtnis hervor, nur um sich mit mir zu unterhalten. Sie will genau die Strecke wissen, die ich bisher zurückgelegt habe und die ich noch vor mir habe. Sie wünscht mir viel Glück für die weitere Reise und verabschiedet sich, weil jetzt ihre Mittagspause vorüber ist. Die Menschen sind einfach so freundlich zu Fremden!
Ich gehe auch mal in die Geschäfte rein und schau mir das lokale Angebot an. Irgendwie ist vieles Krimskrams und würde so bei uns nie verkauft werden können. Vieles erscheint mir kitschig. Aber natürlich gibt es auch überall die Nobelboutiquen, wie man sie in allen europäischen Großstädten auch findet.
Ich fahre jetzt mit dem Bus ein Stück weiter Richtung einer Kirche, die ich am Morgen gesehen hatte. Auf einer Kreuzung nahe der Kirche war am Morgen ein kleiner Unfall passiert. Zwei Fahrzeuge hatten sich in der Kreuzung berührt, man konnte nicht mal richtig eine Beule erkennen. Nach drei Stunden saßen die beiden Fahrer in ihren Wagen mitten auf der Kreuzung, blockierten den ganzen Verkehr und warteten wahrscheinlich auf die Polizei. Obwohl der Verkehr chaotisch abläuft, passiert eigentlich recht wenig.
Ich fotografiere weiter die interessantesten Ansichten (man könnte andauernd auf den Auslöser drücken). Für die Reise im Zug will ich noch schnell ein paar Kleinigkeiten im Supermarkt besorgen. Auch hier sehe ich das riesige Angebot. Alles ist sehr sauber, überall findet man Markenartikel, die man sofort erkennt. Schnell habe ich die paar Sachen zusammen und gönne mir danach noch ein Magnum Eis auf der Bank vor der Kirche. Die Lebensmittel sind dabei sehr preiswert.
Ich fahre zurück zur Wohnung, weil ich noch meine Sachen zusammenpacken muss. Alexandr will mich zum Bahnhof fahren. Im Bus entdecke ich wieder den Busfahrer von gestern. Auch er erkennt mich auch und begrüßt mich herzlich. Beim Ausstieg winkt er mir noch extra hinterher.
Zuhause hat Alexanders Mutter schon das Mittagessen gekocht. Ich habe sogar die Auswahl zwischen Spaghetti oder Suppe. Sie hat schon das große Glas Heidelbeeren in Marmelade verwandelt. Ich packe schnell, denn es wird langsam Zeit für die Fahrt zum Bahnhof. Alexandr ist noch nicht zurück von einer Geschäftsbesprechung. Als er nach ein paar Minuten kommt, teilt er mir mit, dass er mich leider nicht fahren kann. Er hat noch wichtige Dinge zu erledigen. Aber er nimmt sich die Zeit, um mich zum Bus zu bringen, der mich direkt zum Hauptbahnhof fahren wird. Er trägt sogar meine Tasche und wartet solange, bis ich in den Bus eingestiegen bin.
Nach 30 Minuten erreiche ich den Waksal (Bahnhof) und sehe erst jetzt das wunderschöne Bahnhofsgebäude. Leider habe ich meine Kamera im Rucksack verstaut und kann kein Bild machen. Außerdem wird es schon Zeit sich zum Bahnsteig zu begeben. Auf der Anzeigetafel steht schon das Gleis des berühmten “Baikal-Express” (Zug Nr. 10), mit dem ich heute nach Irkutsk fahren werde.
Zum ersten Mal sehe ich den Zug, den ich nehmen werde, in den Bahnhof einfahren. Bisher standen alle Züge immer schon bereit. Nachdem der Zug stoppt und die Türen geöffnet werden, putzen die Provodnizas die Griffe an den Wagen mit feuchten Lappen sauber bevor die Passagiere aussteigen dürfen. Da mein Wagen in der Nähe der Bahnsteigtreppe hält, erreiche ich nach der obligatorischen Fahrscheinkontrolle vor dem Wagen heute mal ohne Schwitzen mein Abteil. Erst denke ich, dass ich schon wieder allein fahren werde, aber 20 Minuten nach der Abfahrt kommt doch noch ein junger Mann ins Abteil. Er verstaut aber nur kurz seine Sachen, zieht sich komplett um (bequeme Jogging-Klamotten) und verschwindet wieder ins Nachbarabteil zu seinen Verwandten. Später kommt er dann zurück und legt sich sofort schlafen.
Draußen ist die Landschaft sehr viel interessanter als bisher. Alles ist sehr hügelig und an den Hängen sieht man kleine Dörfer mit einfachen Holzhäusern. Die Strecke ist sehr kurvig und ich kann aus dem Fenster in einem sehr spitzen Winkel die Lok vorne sehen. Dann geht auch noch glutrot die Sonne unter. Ein herrlicher Anblick!
Nun ist es doch Zeit noch etwas essen zu gehen. Im Speisewagen treffe ich die französische Familie aus dem Nachbarabteil. Die Eltern wohnen in Chile, einer der Söhne in Zürich. Er arbeitet für eine Privatbank. Wir unterhalten und über die Reise und Gott-und-die-Welt. Wir tauschen auch unsere Email-Adressen aus und wollen uns bei nächster Gelegenheit in Frankfurt mal wieder treffen. Auch sie fahren alle an den Baikalsee und die Chance ist groß, dass wir uns dort wieder treffen.
Satt und zufrieden kehre ich zurück zum Abteil, bei der ein oder anderen Station steige ich nochmal kurz aus, um das geschäftige Treiben am Bahnsteig zu beobachten. Dann ist wirklich Zeit zum Schlafen gehen.
Luxus in Krasnojarsk
Schon 2 Stunden vor der Ankunft in Krasnojarsk wache ich auf. Durch das gekippte Fenster in der Toilette strömt die kalte Morgenluft. Es ist bestimmt 20 Grad kälter als die Tage vorher. Draußen sehe ich die Reste von Regenwolken am Himmel, aber es scheint ein schöner, sonniger Tag zu werden.
In Krasnojarsk wohne ich bei Alexandr und seiner Familie (Frau, 2 Kinder, 3 und 7 Jahre und seiner Mutter). In weiser Voraussicht hatte ich Elena gebeten Alexandr anzurufen und ihn zu fragen, ob er mich vom Bahnhof abholen würde. Er sagte etwas unbestimmt, vielleicht. Aber ich hatte ja seine Adresse und im schlimmsten Falle würde ich halt ein Taxi nehmen.
Der Zug fährt in den Bahnhof ein und ich versuche aus den am Bahnsteig wartenden Personen Alexandr zu identifizieren. Das ist sehr schwierig, weil ich ja kein Bild von ihm im Voraus habe. Ich steige aus, schaue mich auf dem Bahnsteig um und warte, dass mich jemand anspricht. Ich bin ja hier der Exot mit Rucksack und Alexandr wird mich viel eher erkennen. Plötzlich kommt ein junger Mann zu mir und hat ein Schild mit meinem Namen in der Hand. Erleichterung macht sich in mir breit. Er begrüßt mich herzlich und hilft mir beim Tragen des Gepäcks. Auch er hat so einen kleinen Nissan mit dem Steuer auf der rechten Seite. Auch er erklärt mir, je weiter ich nach Osten komme, umso größer wird der Anteil der Autos mit Rechtslenker, weil die Wagen direkt über Vladivostok aus Japan importiert werden.
Voller Stolz will Alexandr mir gleich die erste Sehenswürdigkeit von Krasnojarsk zeigen: die Paraskeva-Kapelle (1845 gebaut). Sie steht auf dem westlichen Hügel am Rande von Krasnojarsk und ist als Wahrzeichen auf den 10 Rubel Schein gedruckt. Als die russische Regierung plante den 10 Rubel Schein (nur 25 Cent) durch Münzen zu ersetzen und damit die Gefahr bestand, dass damit die Stadt und ganz Sibirien von den Rubel-Scheinen verschwindet, rief man 2007 einen Wettbewerb für ein Denkmal zu Ehren dieses Geldscheins ins Leben.
Wir fahren zu Alexandr. Auch er wohnt in einer der herrlichen Plattensiedlungen am Rande russischer Großstädte. Schon im Treppenhaus fällt mir auf, dass hier alles viel sauberer und ordentlicher ist. Ein klappriger kleiner Lift bringt uns in den 8. Stock. Die Wohnungen sind mit vielen Schlössern gesichert wie Gefängnistüren. Wir betreten eine sehr schöne geräumige Wohnung und Alexandr zeigt mir mein Gastzimmer. Es ist das große Kinderzimmer der Familie was in einer Ecke auch gleichzeitig sein Arbeitsplatz ist. Er ist freiberuflicher Programmierer und programmiert Webseiten für Firmen. Ich gehe gleich duschen und auch das Badezimmer ist vom Allerfeinsten, schöne Fliesen, ein großes Waschbecken und eine Badewanne.
Nachdem ich mich wieder riechen kann werde ich von Alexandr zum Frühstück in die große Küche eingeladen. Alles steht schon bereit. Wir essen eine Art geschroteten Weizen, Brot mit Wurst und Käse, Marmelade und zum Abschluss Kuchen. Dazu gibt es Tee (Tschai). Das Teetrinken liebe ich mittlerweile richtig. Auch überall in den Zügen gibt es immer Tschai.
Ich ruhe mich erst einmal von der wieder sehr kurzen Nacht im Zug aus und stelle dann die im Zug geschriebenen Artikel ins Netz. Alexandr hat eine sehr schnelle Internetverbindung und alles flutscht nur so im Vergleich zu der doch wesentlich langsameren Mobilfunkverbindung, die ich sonst nutze. Außerdem kostet es nichts.
Alexandre erklärt mir nochmal wie ich in die Stadt komme und dann mache ich mich mit der Kamera bewaffnet auf den Weg. An der Bushaltestelle muss ich mich für eine Seite entscheiden und ich denke ich habe die Richtige gewählt. Ich frage zur Sicherheit nochmal zwei Frauen an der Bushaltestelle, ob der Bus auch Richtung Stadt fährt. Sie nicken schauen mich aber trotzdem ungläubig an. Nach kurzer Zeit kommt ein klappriger Minibus (Nr. 49) in den ich mit den anderen Fahrgästen zusammen steige. Die Schaffnerin kassiert von jedem Bargeld (11 Rubel) und wir fahren los. Schon an der nächsten Straßenkreuzung biegt der Bus in die für mich falsche Richtung ab und ich weiß jetzt, dass ich aus der Stadt rausfahre. Schon nach drei Haltestellen erreichen wir das Endziel der Linie und ich versuche mit der Schaffnerin zu klaren, wo ich richtiger weise aussteigen muss. Wir reden beide mit Händen und Füssen und ich versteh so viel, dass ich einfach sitzen bleiben soll, denn der Bus fährt ja wieder zurück in die Stadt. Sie muss jetzt erst einmal die Geldübergabe organisieren. Ich hatte mich das schon die ganze Zeit gefragt: wie organisieren die das, damit nicht bei so viel Bareinnahmen etwas in den Taschen der Schaffner verschwindet. An der Endhaltestelle wartet eine Angestellte der Verkehrsbetriebe in ihrem Auto. Sie kommt in den Bus und schaut auf die Seriennummer der Abreisstickets, die die Schaffner bei jedem Bezahlvorgang an die Reisenden als Quittung geben. Die Endnummer wird sogfältig in eine Liste eingetragen und gegengezeichnet. Da bis zur Abreise des Busses noch Zeit ist, flirten die beiden Frauen mit dem Busfahrer. Wir alle kommen ins Gespräch, weil sich die Aufseherin auch wundert, dass ich als einziger Fahrgast noch im Bus sitze. Was sich nun anschließt möchte ich mal als ein Kapitel Völkerverständigung bezeichnen. Sie schauen interessiert in meinen Reiseführer und als ich ihnen meine Route auf der Karte erkläre sind sie wirklich sehr erstaunt. Und wieder einmal erlebe ich wirklich sehr offene und interessierte Menschen. Ich frage mich, ob ich das gleiche als Ausländer an einer deutschen Bushaltestelle erlebt hätte.
Wir fahren zurück in die Stadt, kommen natürlich an der Wohnung wieder vorbei, nur auf der anderen Seite. Die Schaffnerin zeigt mir dann auch noch die richtige Ausstiegsstelle für den Beginn meiner Stadtbesichtigungstour.
Die Stadt ist wesentlich kleiner und “gemütlicher” als die anderen Städte, die ich vorher besichtigt hatte. Hier sieht man auch noch sehr schöne alte Holzhäuser, die aber teilweise in einem beklagenswerten Zustand sind. Durch die Mitte der Stadt führt wie in jeder russischen Stadt die Ulitsa Lenina (Leninstrasse) und gleich parallel dazu ist die Karl-Marx-Strasse.
Ich klappere alle die Sehenswürdigkeiten, die in meinem Reiseführer aufgeführt sind, ab und mache schöne Fotos. Krasnojarsk hat auch eine katholische Kirche, die ich in einer Nebenstrasse finde. Leider ist sie verschlossen. Als ich am anderen Morgen Alexandr die Bilder zeige, sagt er mir dies sei die Konzerthalle für Orgelkonzerte.
Die Lauferei ermüdet mich und ich beschließe wieder zurück zu fahren. Schon beim Laufen habe ich die Busse der Linie 49 gesehen und so brauche ich nicht erst lange die Haltestelle zu suchen. Ich stelle mich an die riesengroße Bushaltestelle. Hier werden die Fahrgäste mit Musik beschallt und unterhalten. Nirgends gibt es Fahrpläne oder Routenpläne. Wahrscheinlich werden die als Papierausgaben verkauft. Im Sekundentakt fahren große und kleine Bus heran. Die Stopps sind extrem kurz (nicht mal 10 Sekunden) und wer nicht gleich einsteigen kann muss halt auf den nächsten Bus warten. Auch mein klappriger Bus kommt bald und ich fahre zurück zur Wohnung, die in dem Häusermeer auch gleich wiederfinde. Zur Sicherheit hatte ich ein Foto des Eingangs mit dem Blackberry gemacht, was ich aber dann doch nicht gebraucht habe. An der Haustüre muss man einen Code eingeben und dann geht die Türe auf. Alles ganz einfach.
Oben sitzt Sascha (so nennt ihn seine Mutter) immer noch am Computer und arbeitet fleißig. Ich ruhe mich ein wenig aus und kümmere mich dann um meine Bilder, die ich in den vergangenen Tagen geschossen habe. Zur Sicherheit kopiere ich sie auf verschiedene Speichermedien um den Schatz ja nicht zu verlieren.
Alexandr sagt mir, dass er jetzt wegfahren wird und erst so gegen 22:00 Uhr wieder zurück kommen wird. Das ist kein Problem für mich. Ich will ein wenig relaxen und lesen. Alexandr fährt zu seinen Schwiegereltern, wo sich auch gerade seine Frau mit den Kindern befindet. Wahrscheinlich sind sie wegen mir ausquartiert worden, damit ich das Kinderzimmer haben kann.
Saschas Mutter kommt in mein Zimmer und fragt mich was. Natürlich verstehe ich erst mal gar nichts, aber irgendwann höre ich wieder das Wort Tschai. Ich sage einfach “da” was ja meint und folge ihr in die Küche. Sie hat schon ein herrliches Essen vorbereitet. Es gibt Spagetti mit Hühnchenfleisch, dazu Tomate und Gurken, die es hier überall gibt. Ein richtiger Genuss, alles ist sehr schmackhaft und frisch. Zufrieden und satt lasse ich den Abend ausklingen, telefoniere mit meiner Familie und gehe dann zeitig ins Bett.
Novosibirsk-Krasnojarsk
Um Viertel nach Vier, 15 Minuten später als geplant, ist der Fahrer immer noch nicht da. Ich bitte Elena, dass wir schon mal runter auf die Straße gehen. Unten warten wir weiter und weiter. Ich werde mittlerweile ziemlich nervös, weil mein Zug pünktlich um 17:06 abfahren wird. Auch ohne mich. Ich bitte Elena nochmal den Fahrer anzurufen aber Elena meint, ich sei sehr Deutsch. Alles muss bei den Deutschen so pünktlich und genau sein.
Gott-sei-Dank biegt das kleine Auto, das ich schon kenne, in die Straße ein. Leider bleibt nicht viel Zeit für lange Abschiedszeremonien. Wir werfen das Gepäck auf den Rücksitz und ab geht die Fahrt. Der Fahrer merkt jetzt auch, dass es knapp ist und überholt halsbrecherisch langsame Fahrzeuge und Busse. Ich sitze auf der linken Seite und schaue dem Gegenverkehr immer direkt ins Auge.
Bald erreichen wir den Bahnhof (20 Minuten vor der Abfahrt des Zuges) und überall stehen die Autos und suchen einen Parkplatz. Er hupt sich den Weg frei und dann ruft er dem Wachmann an der Schranke irgendein Wort mit “Express” zu und wir können umgehend die Schranke passieren. Schnell sattle ich meinen Rucksack auf und mit schnellen Schritten eilen wir zum Bahnsteig. Der Zug fährt auf Gleis 6 ab und ich muss nochmal von Gleis 4 die Treppe hoch zum Übergang zu den Bahnsteigen um dann die Treppe wieder runter zum Gleis 6 zu gelangen. Natürlich erreichen wir den schon bereit stehenden Zug bei Wagen 1 und wir müssen bis zum Wagen 9 im Dauerlauf laufen. Total außer Atem erreiche ich zusammen mit dem Fahrer den Provodnik (männlicher Schaffner) am Wagon 9. Mein Fahrer klärt die Details mit dem Provodnik und sagt mir, dass ich ins Abteil 2 gehen soll, danach verabschiedet er mich herzlich und wir umarmen uns russisch brüderlich (ohne Bruderkuss!). Ich kenne nicht mal seinen Namen.
Ich bin alleine im Abteil und trockne mir erst mal mit dem schon bereit liegenden Handtuch den Schweiß von der Stirne und trinke etwas aus meinem Getränkevorrat. Der Zug setzt sich wieder pünktlichst in Bewegung und schon bald kann ich keine Häuser mehr sehen. Ab und zu sieht man mal an der Strecke ein kleines Dorf mit einfachsten Holzhäusern, sonst nur Wald und Wiesen soweit das Auge reicht.
Wie schon im letzten Zug gehe ich abends in den Speisewagen. Die Kellnerinnen können kein Wort Englisch. Aber wenigstens ist die Speisekarte übersetzt. Ich bestelle wieder auf Russisch “Butterbrot” (das Wort ist wirklich russisch und meint Brot, aber ohne Butter) Wenn man Butter haben will muss man die noch extra bestellen. Ich nehme Wurst und Käse und dazu noch ein kleines Omelett mit Pilzen. Bisher habe ich nur gute Erfahrung mit den Speisen gemacht. Alles schmeckt sehr gut und Probleme mit dem Magen oder Darm habe ich auch keine. Ich frage auf Russisch nach einem “Pivo germania” (deutsches Bier, weil ich im letzten Zug ein Warsteiner bekommen habe) Die Kellnerin meint, sie hätte kein deutsches Bier, nur Warsteiner. Wenn die wüsste, wo Warsteiner herkommt.
Am Nebentisch sitzen drei Russen, die Unmengen verschiedene Sachen bestellen und essen. Einer holt noch schnell aus dem Abteil eine Flasche mit einer braunen, selbstgebrannten, alkoholischen Flüssigkeit. Den Schnaps trinken die drei unablässig neben dem Essen aus Schnapsgläsern und als ich fertig essen bin ist die Flasche fast leer.
Ich gehe wieder zurück ins Abteil und schreibe die Berichte der letzten Tage. Ich schaffe es gerade mit Hängen und Würgen am Ball zu bleiben. Das Übersetzen ins Englische für meine Kollegen in der Welt schaffe ich bisher überhaupt nicht. Aber bald wird der Zeitplan etwas ruhiger und ich hoffe bald an die Übersetzungen zu kommen.
Nachdem der Strom im Laptop zur Neige geht, kann ich mich dann auch hinlegen. Ich träume vor mich hin und schlafe irgendwann ein.
Novosibirsk II
Mitten in der Nacht kommen die Nachtschwärmer nach Hause. In der kleinen Wohnung hört man jedes Wort, aber Elena hat schon vorgesorgt und alle vorher die Schlafsäcke fertig machen lassen. Schnell ist wieder Ruhe und auch ich schlafe wieder ein.
Ich werde früh wach und gehe mit meinem Laptop in die Küche. Artikeltexte korrigieren (im Zug vertippt man sich bei dem Gewackel doch sehr oft), Bilder verkleinern und in Galerien hochladen, Kategorien anlegen und sortieren, etc etc. Alles braucht bei der langsamen UMTS-Internetverbindung seine Zeit und schon bald stehen die anderen auf. Elena macht wieder das Frühstück und ich muss mich beeilen, um meine beiden Artikel noch “ins Netz” zu bringen. Wieder frühstücken wir auf dem Boden. Heute werden wir getrennte Programme haben: die Studenten wollen mit Elenas Tochter und Eva Fahrrad durch die Stadt fahren, ich werde mit Elena in den Zoo gehen. Den will sie mir unbedingt noch zeigen. Wir fahren mit den Bus zum Zoo. Ich kenne nun schon die Prozeduren ganz gut. In jedem Bus ist ein Schaffner oder eine Schaffnerin, die die Monatskarten kontrollieren oder gegen Bargeld die Tickets verkaufen. Das Busfahren ist unheimlich günstig, wir bezahlen meistens nur 10 oder 15 Cent. Der Preis gilt für die komplette Strecke des Busses, egal wie weit man fahren will. Irgendwann gleich sich das wohl aus.
Vor dem Zoo, der erst zwei Jahre alt ist und der auf einem sehr verwahrlosten Gelände entstanden sein soll, ist ein Riesengewimmel von Menschen. Meistens Familien mit kleinen Kindern, aber auch jede Menge Jugendliche. Ich frage mich, wie viele Jugendliche bei uns so in den Zoo gehen würden.
Wir kommen an den Käfigen vorbei, und sehr häufig habe ich Mitleid mit den armen Tieren. Sie sind in kleinen Käfigen und sehen meistens unterernährt aus. Die Eisbären sind die große Attraktion und hunderte Menschen stehen am Beckenrand und werfen den beiden Eisbären Lebensmittel zu. Wie die sich dann am Abend fühlen möchte ich gar nicht wissen. Später lese ich im Reiseführer, dass dies Russlands bester und schönster Zoo ist.
Es ziehen dunkle Wolken auf und ich frage Elena, ob wir nicht besser zurück gehen wollen. Sie will mir aber immer noch mehr von dem großen Zoogelände und den vielen Tieren zeigen.
Plötzlich regnet es heftig und wir stellen und kurz unter sehr dichte Bäume. Erst werden wir gar nicht viel nass und der Regen lässt auch bald nach. Wir laufen schnell zum Ausgang aber nun geht es erst richtig los. Wir müssen den Bus nach Hause erreichen, denn es ist schon später als geplant. Völlig durchnässt und verdreckt von dem Schlamm auf den Straßen und Bürgersteigen erreichen wir die Busstation und fahren zurück zu Elenas Wohnung. Dort muss ich mich erst einmal komplett umziehen. Ich packe meine Sachen fertig, weil um 16:00 der Fahrer kommen soll. Ein wenig früher wäre mir zwar lieber gewesen, aber Elena meint, dass ich genug Zeit hätte. Sie ruft den Fahrer noch mal an. Er wird sich nur um ein paar Minuten verspäten, beruhigt sie mich. Ich werde schon ziemlich nervös, denn wenn ich meinen Zug verpasse, muss ich eine Menge um planen.
Mehr im Bericht Novosibirsk-Krasnojarsk
Novosibirsk I
Schon Viertel von Vier weckt mich die Provodniza. Sie macht das wohl immer sehr rechtzeitig, weil sie sehr oft total besoffene Russen davon überzeugen muss, doch endlich wach zu werden. Als sie aber merkt, dass ich klarer Sinne bin, entschuldigt sie sich und sagt, dass ich noch Zeit habe. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof Novosibirsk wechselt sie noch schnell die Bettwäsche und versucht dabei so leise wie möglich zu sein, um die Nachbarin nicht zu stören.
Am Bahnsteig in Novosibirsk soll mich ein Fahrer abholen (für 300 Rubel), der ein Schild mit meinem Namen tragen soll. Aber weit und breit kein Mann mit Schild zu sehen. Auf einmal spricht mich ein junger Russe an. Wir versuchen uns zu verständigen und bald habe ich das Gefühl, dass er die Details und Adresse kennt, zu der er mich hinbringen soll. Wir kommen zu seinem kleinen japanischen Auto und mein Gepäck belegt die ganze Rückbank. Ich soll vorne Platz nehmen. Wie gewohnt geh ich auf die rechte Seite, sehe aber dann das Lenkrad rechts. Später erfahre ich, dass ca. 70 Prozent der Fahrzeuge in Novosibirsk Rechtslenker sind, weil sie billig gebraucht direkt aus Japan oder Korea importiert werden.
Der Fahrer programmiert das Navi mit der Adresse meiner ersten Gastfamilie. Es ist Elena mit ihrer Tochter. Wir haben per Mail vereinbart, dass ich vor dem Haus kurz ihre Mobilfunknummer anrufe und wenn sie meine deutsche Nummer auf dem Display sieht, dann runter auf die Straße kommt. Die Fahrt geht durch das nächtlich Novosibirsk und wir sehen die letzten Nachtschwärmer aus den Nightclubs der Stadt kommen. Die Gegend wird immer dunkler und wir biegen in eine kleine Straße zu hohen Häuserblocks ein. Mir wird ein wenig mulmig, aber ich habe ja mein Pfefferspray bereit. Der Fahrer kennt nicht genau die Adresse und muss trotz Navi etwas suchen. Dann meint er, dass wir angekommen sind. Ich rufe Elena an und sie meldet sich sofort. Ein gutes Zeichen. Wir warten ein paar Minuten und der Fahrer bleibt dankenswerter Weise bei mir. Er sucht die Gegend ab nach den richtigen Eingang. Ein zweiter Anruf ist notwendig, um genau den Hauseingang zu finden. Dann endlich sehe ich eine Frau im Bademantel auf der Straße, begrüße sie und wir gehen ins Haus. Wir besteigen den klapprigen Aufzug und fahren in den 9. Stock. Dort betreten wir, über zwei Türen gesichert, die kleine Wohnung. Elenena erzählt mir, dass sie noch plötzlich Besuch bekommen hat und das Zimmer jetzt voll ist. Sie legt mir eine Matratze in den Flur. Ich nehme meinen Schlafsack und schlafe den Rest der Nacht auf dem Flur.
Da am nächsten Morgen alle über mich drüber steigen müssen, werde ich schnell wach. Ich stehe auf und werde zwei jungen Männern vorgestellt. Ich begrüße sie auf Russisch, aber Elena sagt mir, dass dies gar nicht nötig ist. Beide sind deutsche Studenten aus Dresden. Matthias und Perry. Mattias hat ein Jahr in Peking gelebt und chinesische Kinder in Englisch unterrichtet, Perry, sein Freund, hat ihn nun abgeholt und die beiden fahren die transsibirische Eisenbahn in umgekehrter Richtung nach Moskau, um dann von dort nach Hause zu fliegen. Das ist besonders wertvoll für mich, denn da wo die beiden herkommen, will ich hin.
Elena macht Frühstück und kocht Tee. Mangels eines großen Tisches lassen wir uns alle auf einer Decke mitten im Wohnzimmer nieder, wie bei einem Picknick. Dabei erklären sie mir den Plan des Tages, den sie schon gestern abgesprochen haben. Nach einer kurzen Stadtbesichtigung wollen wir uns mit weiteren Freunden treffen und ca. 20 km außerhalb der Stadt an dem Strand des Ob (ein sehr großer Fluss, der an Novosibirsk vorbei fließt) eine kleine Grillparty machen. Schaschlik-Spieße und Hähnchenflügel soll es geben. Jeder macht eine kleine Kostenbeteiligung und schnell ist das Geld für die notwendigen Einkäufe zusammen. Wir machen uns fertig und gehen um die Ecke in einen sehr modernen Supermarkt, der es mit jedem unserer Supermärkte aufnehmen kann. Das Angebot ist reichhaltiger als bei uns und man sieht überall deutsche Marken. Wir kaufen ein paar Sachen für die Grillparty und laufen dann weiter zur Wohnung von Eva, der Freundin von Elena. In der Wohnung warten schon jeden Menge andere Freunde und wir werden einander vorgestellt. Eine sehr interessante Gruppe und alle sehr aufgeschlossen und neugierig, was man so macht. Die meisten können sich sehr gut verständigen. Eva will sogar immer deutsch mit uns reden um ihr Deutsch zu verbessern.
Wir schleppen Unmengen von Zeug aus der Wohnung für die Grillparty. Als wir dann noch in den Getränkemarkt um die Ecke gehen und Unmengen an Bier- und Limonadenflaschen abfüllen lassen, wir mir die Sache mulmig. Wie sollen wir das alles durch die Stadt schleppen. Aber dafür haben die Damen auch schon eine Lösung. Kurzerhand werden alle Tüten und Flaschen in einem kleinen Lebensmittelgeschäft im Kühlhaus untergestellt. Eva kennt die Inhaberin und sie erlaubt und das Kühlhaus zu benutzen.
Wir fahren mit der Metro, die genau wie die in Moskau aussieht, in die Innenstadt. Überall gibt es viele interessante Gebäude und die Damen erklären uns die Sehenswürdigkeiten. Elena hat an der Eisenbahnuniversität studiert und früher mal als Landvermesser bei der Baikal-Amur-Linie gearbeitet. Sie hat dort die Ersatzstrecke vermessen. Ein wirklich anstrengender Beruf, der aber auch den Vorteil hatte, ständig in der Natur zu sein. Später werden wir die dort erworbenen Kenntnisse noch gut brauchen können.
Die Stadt ist voll von Bräuten mit ihren frisch gebackenen Ehemännern. Die Hochzeitsgesellschaften fordern das jeweilige Brautpaar auf, vor interessanten Hintergründen zu posieren und machen jede Menge Fotos. Ich mische mich jeweils in die Gruppen, und schieße auch ein paar Schnappschüsse.
Nach der Stadtbesichtigung und nachdem wir die Lebensmittel aus dem kleinen Geschäft abgeholt haben, besteigen wir einen kleinen Minibus und fahren zu der sogn. “Academic City” Das ist eine separate kleine Stadt vor den Toren Novosibirsks, die man extra für die Wissenschaftler der Universitäten angelegt hat. Hier wollte man ihnen besonders gute Bedingungen bieten, um sie zu motivieren in Novosibirsk zu forschen und zu lehren. Die Förderung hat sich wohl bezahlt gemacht, denn nach Aussage von Elena hat Novosibirsk die besten Universitäten Russlands. Vielleicht ist es aber auch nur ihr Stolz auf ihre Stadt
Wir laufen durch einen kleinen Wald, in dem die Moskitos über uns herfallen. Ich hatte schon in weiser Voraussicht “Anti-Brumm” aufgelegt, aber die Moskitos zeigen sich nicht sehr beeindruckt. Vielleicht sollte Stiftung Warentest hier den Produkttest, bei dem “Anti-Brumm” als Testsieger abgeschnitten hat, noch einmal wiederholen.
Wir erreichen einen herrlichen Sandstrand an dem sogn. Ob-See, der leider am Waldrand total zugemüllt ist. Hier treffen sich jeden Tag viele große Gruppen und feiern eine Grillparty, nehmen aber leider anschließend den Müll nicht wieder mit. Der Ob-See ist künstlich angelegt und aus riesengroßen Sandgruben entstanden. Man hat einfach den Ob durch die Gruben durchgeleitet. Das Wasser ist noch ziemlich kalt und ich habe auch keine Badeklamotten dabei. Deswegen gehe ich nur bis zu den Knien ins Wasser. Wir Männer sammeln Holz und Steine für die Feuerstelle, Baumstämme zum Sitzen und Elena macht, ganz Profi, schnell das Feuer an. Schließlich hat sie das ja bei ihrem Leben in der Sibirischen Wildnis jeden Tag machen müssen. Bald ist die Kohle so heiß, dass wir die Spieße grillen können. Wir sitzen alle um den Grill zusammen und alles schnattert in verschiedenen Sprachen durcheinander. Die Russen lassen uns bei den fertigen Spießen den Vortritt. Ich glaube es ist eher Gastfreundschaft als Vorsicht. Insgesamt habe ich sehr interessante Gespräche geführt, auch auf Deutsch mit den beiden Studenten.
Als es langsam dunkel wird, teilt sich die Gruppe auf. Die Jungen bleiben noch und wollen weiter feiern, die Älteren machen sich mit der “Elektrischka”, dem Vorort-Bummelzug, zurück nach Novosibirsk. Wir müssen noch zweimal die Buslinie wechseln und dann noch ewig zu den Wohnblocks laufen, weil ab 21:00 keine Busse mehr in diese Gegend fahren. Müde und verschwitzt erreichen wir Elenas Wohnung. Sie kocht erst mal einen Tee und hilft mir bei der weiteren Reiseplanung. Danach genieße ich die Dusche in ihrem kleinen Bad, in dem sich neben der Badewanne nur noch die Waschmaschine und ganz hinten in der Ecke das Klo befindet. Ein Waschbecken ist nicht vorhanden. Aber das ist wohl kein Problem, denn sie hat ja ein Waschbecken in der Küche.
Als ich gerade meinen Schlafsack ausgepackt habe und schlafen will, kommen die beiden Studenten mit der Tochter von Elena zurück vom Strand. Sie beschließen noch in einen Nachtclub zu gehen, ziehen sich noch kurz um und machen sich chic für die Disko. Dann herrscht endlich Ruhe und ich kann schlafen.
Ekaterinburg-Novosibirsk
Schon eine halbe Stunde bevor mein Wecker um 05:00 klingelt wache ich auf. Der Straßenlärm dringt durch das offene Fenster in mein stickiges Zimmer. Ich bleibe noch liegen, bis sich mein Blackberry mit dem Weckton meldet.
Das Zeitmanagement gestaltet sich auf der Reise schwierig. Alle Züge fahren in ganz Russland nach der Moskauer Zeit. Deswegen habe ich meine Armbanduhr auch auf der Moskauer Zeit belassen obwohl ich nun schon 2 Stunden weiter bin. Man muss sich daran gewöhnen, dass alle Uhren am Bahnhof nicht die lokale Zeit anzeigen sondern immer die Moskauer Zeit. Noch ist das bei zwei Stunden Zeitunterschied zur Moskauer Zeit zu verkraften, aber auf meiner Reise werden es bis zu sieben Stunden. Mein Blackberry erkennt die lokale Zeit aus dem Mobilfunknetz automatisch, deswegen benutze ich ihn als Wecker. Auf dem iPad habe ich dann noch die lokale Zeit in Darmstadt belassen um nicht dauernd kompliziert rechnen zu müssen. Mit jeder Zugfahrt durchquere ich mindestens eine Zeitzone und da kann man sich schnell vertun.
Mit dem Weckton springe ich aus dem Bett, steige ein letztes Mal in die modrig riechende Dusche. Den Rucksack hatte ich schon am Vorabend fertig gepackt und so bin ich sehr schnell fertig. Morgens um 20 nach 5 dauert der Checkout-Prozess auch nicht lange und Gott-sei-Dank hatte mich die Englisch sprechende Rezeptionistin darauf hingewiesen unbedingt an das Registrierungsdokument zu denken. Die beiden verschlafenen Damen an der Rezeption hatten das total vergessen und ich muss sie daran erinnern. Man muss sich in Russland an jeder Stelle, an der man sich mehr als zwei Tage aufhält, bei den Behörden registrieren. Normalerweise macht das das Hotel, aber bei Privatunterkünften muss man sich selbst darum kümmern.
In der Morgendämmerung überquere ich den Bahnhofsvorplatz und merke, dass ich noch sehr viel Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges um 06:30 (lokal) habe. Um 06:06 soll er am Bahnsteig ankommen. Da außen am Bahnhof die Anzeigetafeln für die Bahngleise angebracht sind, entschließe ich mich auf den Stufen zum Bahnhofseingang niederzulassen. Nun kommen die Ärmsten der Stadt vorbei und versuchen Essen oder Zigaretten zu schnorren. Leider kann ich mit beidem nicht dienen. Die verdreckten Männer sind von der Nacht noch so besoffen, daß ich Angst habe, sie würden stürzen und ich müsste noch Erste Hilfe leisten.
Endlich wird das Gleis meines Zuges angezeigt und ich laufe zum Bahnsteig. Schon am Tage vorher hatte ich mich mit den Gegebenheiten des Bahnhofes vertraut gemacht, ohne das schwere Gepäck dabei zu haben.
Ich laufe auf das angezeigte Gleis 10 und sehe eine Riesengruppe Backpacker. Da bist du richtig, denke ich, aber auf Gleis 10 wird kein Zug angezeigt. Stattdessen hört man eine lange russische Durchsage und die Gruppe setzt sich sofort in Bewegung. Gleiswechsel, denke ich sofort und laufe der Gruppe hinterher. Im Tunnel entdecke ich dann auch, dass der Zug nun von Gleis 6 abfährt. Ich steige die Treppe hoch und laufe zum Wagon 8, der wie immer ewig weit weg ist. Die Provodniza steht schon lächelnd an der Türe und kontrolliert mein Ticket und weist mir das Abteil 2 zu, obwohl auf meinem Ticket eigentlich das Abteil 1 steht. Dieses Abteil haben sie aber selbst in Beschlag genommen und es sich gemütlich gemacht.
Aber egal, das Abteil 2 ist genauso hübsch und in der Ersten Klasse. Auf dem Tisch stehen Getränke und Süßigkeiten. Das Wasser tut gut nach der Schlepperei. Direkt nach der Abfahrt bieten sie mir Getränke an, die ich aber dankend ablehne. Im Nebenabteil sind zwei Männer, die auch auf den Gang kommen und die Lage abchecken. Einer der Männer spricht mit in astreinem Englisch an und fragt wo ich herkomme. Ich sehe wohl nicht wie ein Russe aus. Es stellt sich heraus, dass er Mitarbeiter der Niederländischen Botschaft in Ekaterinburg ist und nun mit dem Leiter der Botschaft zur Außenstelle nach Tjumen fährt. Ich erkläre ihm noch meine Tour und er ist begeistert und interessiert. Die Beiden ziehen sich in ihr Abteil zurück und auch ich hole erst einmal ein paar Stunden Schlaf der vergangenen Nacht nach. Dabei überquere ich den Ural, ein Gebirge, das sich über 2500 km von Nord nach Süd ausdehnt. Der Ural ist ca. 1800 m hoch, die Bahnstrecke überquert das Gebirge aber in einer sehr niedrigen Höhe von ca. 500 m. Unterwegs sehe ich immer wieder blätterlose weiße Birkenstämme. Hier hat wohl ein Waldbrand alle Blätter vernichtet nur die Stämme mit ihrer weißen Rinde bleiben dann stehen. Schon von weitem sehe ich auf einmal eine riesige Rauchwolke. Auch hier brennt wieder mal ein Stück Wald.
Die Provodniza weckt mich und ich soll meinen Rucksack von der gegenüber liegenden Bank zu mir holen. Ein zweiter Gast betritt das Abteil, ein junger Russe, kurz geschorene Haare, Typ Türsteher einer Disko. Er ist nicht sehr gesprächig, obwohl er ganz passabel Englisch kann. Immerhin erfahre ich, dass er nach Omsk will und gerade die Verwandten in Tjumen besucht hat zur 5 jährigen Todesfeier seines Großvaters. Während der Fahrt liest er ein Buch über Stalin. In Omsk verlässt er das Abteil. Schon kurz vorher ziehen die Provodnizas das Bett ab und holen frische, eingeschweißte Bettwäsche für den nächsten Gast.
Kurze Zeit später kommt eine junge Frau, Typ russische Schönheit mit Glitzerjeans, zusammen mit Ihrem Freund/Mann in das Abteil. Die Verabschiedung ist herzlich und innig. Der Mann muss schnell den Zug verlassen, weil die Bahn äusserst pünktlich abfährt.
Schnell verschwindet die Frau mit älteren Klamotten und kommt bald umgezogen zurück. Sie macht wortlos das Bett, kuschelt sich in die Decke und schläft ein.
Ich kann noch nicht schlafen, denn es ist ja noch hell draußen. Und über die Zeitverschiebung und meinen Schlaf vom Vormittag fühle ich mich noch gar nicht müde.
Ich nehme Rücksicht auf sie und mache das Licht im Abteil aus. Mit dem beleuchteten Laptop kann ich auch ohne Licht noch die von den Lieben zuhause erwarteten Texte schreiben.
Leider ist die Batterie schnell leer und so muss ich bald mit der Arbeit aufhören. Ich gehe nochmal raus und frage die Provodniza, ob sie mich um 04:00 lokale Zeit wecken kann. Sie versteht das, obwohl sie kaum Englisch kann. Aber mit ein paar Wörtern und Zahlen kommt man schon ans Ziel.
Ich gehe zurück ins Abteil, stelle zur Sicherheit noch meinen Wecker und schlafe auch ein.
Ekaterinburg
Um nicht wegen der fortschreitenden Zeitverschiebung (es sind jetzt immerhin schon 4 Stunden zu Deutschland) stelle ich mir den Wecker auf 9 Uhr. Die Dusche ist grausam eng und das Wasser riecht modrig. Das Zähneputzen an dem kleinen Waschbecken wird zur Akrobatikübung, weil ich mit der Hand das Wasser für meinen Mund auffangen muss. Ein Glas gibt es nicht.
Voller Tatendrang betrete ich den Frühstückraum und gebe meine Frühstücksmarke ab. Überall sehe ich Schlüsseln mit Köstlichkeiten stehen, aber keine der Köstlichkeiten kommt mir bekannt vor. Irgendwann entdecke ich die internationale Ecke. Dort gibt es Rührei, Würstchen, Käse und Brot. Auch lecker Trinkjoghurt ist im Angebot. Der Kaffee kommt aus einem Riesenbottich und schmeckt dementsprechend. Aber ich genehmige mir sogar eine zweite Tasse. So schlimm kann es also gar nicht sein.
Mit der Kamera bewaffnet erobere ich die Stadt. Vorher habe ich auf dem iPad Wikihood konsultiert. Das ist die tollste Sache die ich auf dem iPad habe. Der iPad stellt per GPS die aktuelle Position fest und sucht dann im Internet (speziell auf Wikipedia) alle Artikel, die zu dem aktuellen Standort passen. Und dann stellt er auch noch semantische Zusammenhänge fest und zeigt das alles in einer übersichtlichen Liste an. Also ein individuell zusammen gestellter Reiseführer. Ich lese speziell die Geschichte zu der “Kirche auf dem Blute”.
An dieser Stelle stand vorher das sogn. Ipat’ev Haus, benannt nach dem Erbauer. In diesem Haus wurde 1918 der Zar Nikolaj II mit seiner Familie und seinen Angestellten von den Boplschewiken grausam umgebracht und 40 km von Ekaterinburg verscharrt. Um den Ort nicht zur Walfahrtstätte für treue Monarchieanhänger werden zu lassen, lies Boris Jelzin in 1977 das Haus in einer Nacht- und Nebelaktion abreißen. Treue Anhänger des Zaren sammelten jedoch Spenden von Minenbetrieben ein und bauten diese prunkvolle Kirche an dieser Stelle. Im Umfeld der Kirche sind auch weitere kleinere Kapellen aus Holz entstanden.
Bevor ich die Kirche erreiche laufe ich durch einen kleinen Park und auf einer Bank sitzen zwei Mädchen. Das eine Mädchen spricht mich einfach an, wo ich denn herkomme. Sie spricht sehr gutes Englisch und fragt mich richtig aus. Sie fotografiert mich vor der Kulisse der Kirche. Ein guter Zufall, denn sonst ist man immer selbst hinter der Linse. Ich erzähle den Mädchen von der Kirche und sie sind erstaunt über mein Detailwissen. Es stellt sich heraus, dass die beiden auf Tjumen sind (ca. 500 km entfernt) und einfach mal ihre Tante besuchen wollen. Die steht auf einem kleinen Markt neben der Kirche, aber die Mädchen wussten nicht wo die Kirche genau ist. Aber das haben wir ja nun geklärt. Ich gehe in die Kirche und die Mädchen sagen mir, dass sie als Frauen nicht ohne Kopfbedeckung in die Kirche dürfen. So trennen sich unsere Wege, bzw. ich treffe die beiden hinterher am Marktstand ihrer Tante wieder.
Das Innere der Kirche ist sehr prunkvoll und viele Menschen sind innig ins Gebet vertieft. Viele scheinen einfach nur ein paar Minuten Ruhe und Zuflucht vor der Hektik des Alltags zu suchen und zu beten oder toter Angehöriger zu gedenken. Viele stecken eine kleine Kerze vor dem Altar an.
Ich lasse mich einfach treiben und gehe in Richtung eines großen Binnensees, der mich sehr an die Alster in Hamburg erinnert. Die Promenade ist sehr schön gestaltet und jede Menge bildschübsche, hochhackig beschuhte Russinnen flanieren entlang. Ich komme auch an einem sehr schön bemalten Gebäude entlang und fotografiere es. Plötzlich fährt mit Polizeieskorte ein schwarzer Mercedes mit Blaulich an den Hintereingang und wie von Geisterhand wird ihm das Tor aufgemacht. Später erfahre ich, daß dies der Regierungssitz des Gouverneurs des Oblast Sverdlovsk ist. In diesem Gebäude wurde auch vor wenigen Wochen Angela Merkel mit ihrer Delegation aus Politik und Industrie empfangen. Unter anderem soll Siemens da 240 neue Schnellzüge verkauft haben. Ein Trip mit der transsibirischen Eisenbahn wird in 10 Jahren also definitiv anders aussehen.
Ich laufe noch etwas die Promenade entlang und die Mittagssonne brennt doch mächtig. Daher entschliesse ich mich bei dem nächsten Straßen-Restaurant ein Cola zu trinken. Welch ein Zufall treffe ich in dem Restaurant das französische Ehepaar aus dem Zug von Moskau nach Ekaterinburg wieder. Wir begrüßen uns herzlich und tauschen die Informationen zu den Sehenswürdigkeiten aus. Beide können sehr gut Englisch und ich ein wenig Französisch und so klappt die Kommunikation problemlos. Nur die russische Fremdenführerin, die die beiden engagiert haben, kann nur russisch. Entsprechend holprig sind die Versuche Informationen über die Stadt zu bekommen. Der Mann gibt mir einen Prospekt von Stadtführungen von einer Firma “Citytour”. Eine Tour hört sich sehr interessant an, nämlich eine Fahrt zu der Grenze zwischen Europa und Asien, die ca. 20 km außerhalb der Stadt liegt. Kurzerhand beschließe ich, dies noch zu versuchen. Es ist zwar schon 15:00 Uhr, wenn ich mich beeile ist das vielleicht doch zu schaffen. Der Mann erklärt mir noch kurz, daß die Firma ihr Büro in dem runden Hochhaus hat, was ich von dem Platz sehen kann und was ca. 2 km entfernt liegt.
Ich mache mich flotten Schrittes auf den Weg, komme an dem Stadion von “Dynamo Ekaterinburg” vorbei und erreiche bald das runde Hochhaus. Nur von Geschäften ist weit und breit nichts zu sehen. Ich frage zwei Skateboard fahrende Jungen aber die schauen mich nur ganz ungläubig an. Wahrscheinlich ist mein russisch doch nicht so perfekt. Dann laufe ich ein weiteres Mal um die runde Halle, die vor dem Hochhaus liegt. Es ist eine Basketball-Halle und wie überall steht Sicherheitspersonal. Der Wachmann scheint die Firma zu kennen. Er zeigt mir eine Tür in die ich hinein gehen soll. Ich sehe immer noch keine Firma Citytour und der Wachmann kommt mir hinterher und öffnet mir die Türe zum Büro. Wie sich eine Firma so gut verstecken kann und trotzdem Kunden hat. Die Agenturcheffin ruft schnell den Fahrer und einen Guide an und sagt mir, dass die Tour um 17:30 losgehen kann. Die Stunde Wartezeit vergeht wie im Fluge und bald erscheint mein Tourguide Evgeny, der mir alle Sehenswürdigkeiten erklären soll.
Evgeny ist Student für “Internationale Beziehungen” und macht gerade seinen Abschluss. Er verdient sich mit den Touren sein Taschengeld. Wir machen uns mit dem Fahrer auf den Weg auf die neue Autobahn nach Moskau. Man soll in ca. 2 Tagen die Strecke mit dem Auto schaffen können. Mit dem Zug habe ich “nur” 25 Stunden gebraucht. Deswegen ist Bahnfahren auch so beliebt in Russland. Wir erreichen als erstes eine Totengedenkstätte für russische Dissidenten, die kurz vor dem zweiten Weltkrieg hier massenweise umgebracht wurden. Die meisten mussten ihr Grab eigenhändig schaufeln.
Als nächstes erreichen wir den ersten Grenzpunkt. Ich bin hier nun genau 3502 km von Berlin und 4685 von London entfernt und stelle mich mit je einem Bein nach Europa und Asien. Die Grenzstatue ist ein beliebter Treffpunkt für Paare, die sich die ewige Liebe schwören. Als Symbol befestigen Sie ein Vorhängeschloss an dem Gitter und werfen den Schlüssel weg. Hoffentlich hilft das immer. Investoren wollen eine große Kopie der Staue quer über die neue Autobahn bauen, weil die kleine Ausführung leicht von den vorbei fahrenden Autos übersehen werden kann.
Wir fahren weiter zum nächsten Grenzpunkt und dieser Obelisk ist ungleich größer. Die Sage spricht, daß Zar Alexander II einmal mit der Kutsche an diesem Denkmal vorbei kam und anhalten ließ. Er packte russische Schokolade aus, holte eine Flasche Champagner aus der Kutsche und trank mit seiner Frau ein Gläschen auf Russland. Danach zerschmetterte er die Gläser an dem Obelisken. Evgeny hat eine Überraschung für mich. Erstens überreicht er mir eine Urkunde zur “erfolgreichen” Überquerung der Grenze zwischen Europa und Asien. Dann packt auch er Schokolade und Sekt aus und wir tun es Zar Alexander und seiner Frau gleich. Nur die Gläser wollen nicht kaputt gehen, denn es sind Plastik-Kelche. Sofort kommen in mir die Erinnerungen an den Abschied in Darmstadt hoch, wo wir auch aus solchen Gläsern getrunken haben. (kleines Heimweh…)
Die Tour endet auf dem lokalen Friedhof, wo wir kurz die pompösen Gräber der reichen Mafiosi “besichtigen” Nie habe ich prunkvollere Gräber gesehen. Ab 1990 wurden mit der Perestroika die Machtverhältnisse neu sortiert und so mancher Mafia-Boss ist dabei auf der Strecke geblieben. Hier hat man ihnen wirkliche Denkmäler gesetzt.
Müde und voller Eindrücke komme ich wieder ins Hotel und lasse den Abend beim schon bekannten Japaner ausklingen.
Obwohl ich wirklich viel gesehen habe, habe ich doch das Gefühl nur einen winzigen Ausschnitt der Pracht dieser Stadt gesehen zu haben. Also irgendwann muss ich doch noch mal hier her kommen!
Moskau-Ekaterinburg
Am nächsten Morgen weckt mich die Sonne und ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass die Waldbrände bei Moskau wohl lange hinter uns liegen. Die Luft sieht viel klarer aus und die Klimaanlage verrichtet auch wieder ihren Dienst ohne Brandgeruch von außen. Trotzdem sieht man hin und wieder an der Strecke Bäume mit braunen Blättern und verkohltem Untergrund. Hier muss das Unterholz gebrannt haben und die Hitze des Brandes hat die Blätter der Birken augenblicklich verdorren lassen. Die Baumstämme sind aber in den seltensten Fällen schwarz verkohlt. Und oft sieht man auch wie schnell sich die Natur das Terrain zurück erobert, überall schießt schnell das Grün wieder aus dem Boden.
Schon von 20 vor 11 Uhr kommen die zwei Provodnizas in mein Abteil und wollen mir ein Mittagessen verkaufen. Die Auswahl gestaltet sich schwierig, aber immerhin können sie auf Englisch die Worte für Fisch, Hähnchen und Fleisch. Ich entscheide mich spontan für “Chicken” aber nun fangen die Probleme erst richtig an. Sie redet unablässig sehr schnell auf Russisch und ich verstehe nicht ein einzelnes Wort. Als sie das merkt, setzt sie sich zu mir auf die Bank und malt auf ihrem Block ein Hähnchen und macht in der Mitte einen Strich durch. Nun verstehe ich: sie meint das Ganze oder das Halbe. Ich entscheide mich für das Halbe. Und dann schreibt sie noch eine Menge Zahlen auf den Block und mit Händen und Füssen verständigen wir uns. Der Preis wird wohl in 100 Gramm je 178 Rubel berechnet. Das erscheint mir zwar etwas teuer, aber viel Auswahl habe ich ja nicht. Dann fragt sie noch nach den Beilagen und da verstehe ich sie überraschen ganz gut. (Auf dem Teller lag dann auch das Gewünschte!) Sie zeigt mir noch auf meiner Armbanduhr, daß die Zubereitung ca. 30 Minuten dauern wird. Das ist bei der frühen Zeit aber wirklich kein Problem und ich warte geduldig. Genau nach der angekündigten Zeit bringt sie das bestellte Essen. Leider hätte es ruhig noch etwas länger im Backofen bleiben können, aber es schmeckt trotzdem ganz gut.
Wenn man aus dem Fenster schaut sieht man hauptsächlich nur eines: Bäume, Bäume, Bäume. Ab und zu kommt auch mal ein kleines Dorf, aber man hat den Eindruck auf einer Strecke von 1700 km ist nur Wald. Von Frankfurt aus wäre man mit 1700 km schon in Südspanien!
Ich bleibe den ganzen Tag alleine im Abteil. Es fahren insgesamt nicht viele Passagiere in der ersten Klasse und auch auf den kleineren Bahnhöfen steigt kaum jemand zu. Die Babuschkas mit den Speiseangeboten platzieren sich an den Bahnsteigen auch nicht vor den 1. Klasse Wagen, weil sie wohl wissen, dass hier kaum Geschäfte zu machen sind. Nur einmal kommen zwei Händlerinnen mit fahrbaren Tischen mit Handwerksarbeiten aus Birke und kleinen Schmucksteinen zu uns an den Wagon.
An jedem Bahnhof versuche ich mit dem iPad Kontakt zu dem lokalen Mobilfunknetz aufzubauen, was mir auch meistens gelingt. Nun überträgt der iPad meine aktuelle Position zu Google und jeder kann auf meiner Homepage nachschauen, wo ich mich gerade in dem Moment aufhalte. Für den Zweck ideal, im sonstigen Leben wäre das aber doch ein datenschutz-technischer Albtraum.
Langsam nähern wir uns dem Tagesziel Ekaterinburg. Hier ist die Zeitdifferenz zu Deutschland schon 4 Stunden und bei meiner Ankunft ist es schon 20:18 und draußen dämmert es schon langsam. Erst schlage ich den falschen Weg im Bahnhof ein und lande wieder in einer riesigen Wartehalle. Auch der zweite Weg führt mich in die Irre, denn nun bin ich in der riesengroßen Spielhalle für die Kinder gelandet. Also kann der Weg nur noch nach unten gehen. Ich finde leicht den Weg zum Bahnhofsvorplatz und dort wimmelt es auch wieder von Menschen. Ich sehe nicht sofort das Hotel, das angeblich gegenüber liegen soll. Deswegen frage ich eine russische Frau: “Gde Gastiniza Sverdlovsk” auf Deutsch: Wo ist das Hotel Sverdlovsk? Sie zeigt nur genau über den Vorplatz und sagt da. Dann erst sehe ich, daß die Fassade des Hotels komplett mit einem Bauvorhang zugehängt ist, aber die Buchstaben auf dem Dach lassen keinen Zweifel. Immer noch lese ich die russischen Wörter wie ein Erstklässler, aber nach und nach gewöhnt man sich auch ein komplette Worte.
Ich gehe direkt zum Hotel und draußen ist es immer noch sehr warm. Nicht mehr so heiß wie in Moskau, aber über 30 Grad. Schwitzend erreiche ich mit meinem schweren Rucksack das Hotel und die Rezeptionistin spricht wieder nur russisch mit mir. Als ich sie frage, ob sie englisch kann, sagt sie nur njet, aber schon eilt von der Seite meine Rettung. Eine zweite Rezeptionistin kann sehr gut Englisch und wir klären die Formalitäten. Sie gibt mir eine Gastkarte mit der Nummer des Zimmers und sagt den Schlüssel zum Zimmer würde ich in der 7. Etage bekommen, da wo auch mein Zimmer liegt. Ich passe kaum mit meinem Rucksack in den engen (höchstens 2-Mann) Aufzug und fahre in den 7. Stock. Dort erwartet mich eine Babuschka, die mir gegen meine Karte den Schlüssel gibt. Es ist so ein kleiner Steckschlüssel, den ich von einem Vorhängeschloss kenne. Das erweckt bei mir kein Vertrauen in die Sicherheit. Ich schließe die Türe auf und ahne nichts Gutes. Das Zimmer ist winzig, heiß, stickig und als ich dann die Badtüre aufmache, packt mich nur noch das Grausen. Ich setze erst mal mein schweres Gepäck ab, schließe den Raum ab und fahre zurück zur Rezeption um ein anderes Zimmer zu besorgen. Die Rezeptionistin grinst etwas als ich ihr mein Anliegen vorbringe, meint aber sie könnte mir ein besseres Zimmer geben. Das würde aber etwas mehr kosten. Sie gibt mir einen Schlüssel für die 5. Etage und ich soll mir das Zimmer erst einmal anschauen. Das Zimmer erweist sich als genauso klein, hat aber Toilette und Bad getrennt und sieht optisch viel besser aus. Ich entscheide mich das Zimmer zu nehmen. Unten “kalkuliert” die Rezeptionistin 500 Rubel (12,50 EUR) mehr für die Nacht. Ja so kann man auch sein Geld verdienen. In den russischen Hotels ist es üblich im Voraus zu zahlen, deswegen macht sie auch schon meine Rechnung fertig, die ich sofort bezahlen muss. Auf dem Zimmer habe ich zwar einen Minibar-Kühlschrank, aber der ist komplett leer. Deswegen können auch keine weiteren Kosten im Hotel entstehen. Für das Frühstück habe ich zwei Bons erhalten, die ich am Büffet einlösen soll.
Es ist noch hell draußen um die ersten Schritte in die Stadt zu wagen. Befreit vom Gepäck ist es richtig gut einfach so in die Stadt zu laufen. Ich sehe die ersten beeindruckenden Gebäude und breite Straßen. Alles ist sehr sauber und gepflegt. Vor dem Theater ist eine sehr schöne Blumenanlage mit Parkbänken. Dort sitzend beobachte ich das abendlich Treiben in der Stadt. Von meiner Parkbank habe ich einen herrlichen Blick auf die Kapelle zum Blut. Mehr dazu im Bericht von morgen.
Noch bevor es endgültig dunkel wird, laufe ich lieber zurück zum Hotel. Direkt neben dem Hotel liegt ein japanisches Restaurant, was einen sehr guten Eindruck macht. Bei der Begrüßung weiß ich nicht ob die Angestellten russisch oder japanisch mit mir reden. Aber sie merken schnell, dass ich keiner der beiden Sprachen mächtig bin. Die Kellnerin bringt mir die bebilderte, englische Karte und ich kann mir etwas leckeres zum Essen aussuchen. Nach dem Abendessen gehe ich auf kurzem Wege ins Hotel und entdecke in der Lobby den “Nachtisch-Automat” Ein gut gekühltes Snickers ist jetzt genau der richtige Genuss.
Zurück im Zimmer bemerke ich eine große Dummheit von mir. Wegen der stickigen Luft hatte ich das Fenster aufgelassen. Direkt vor dem Fenster steht aber das Baugerüst, über das man von außen leicht in das Zimmer einsteigen könnte. Aber ich hatte Glück und es ist alles noch da. Nun muss ich mich entscheiden: frische, kühle Luft oder Autolärm. Ich entscheide mich erst einmal für die Luft. Als ich nach einer Stunde aber immer noch nicht eingeschlafen bin, schließe ich das Fenster. Sofort wird es so warm, daß ich trotz Bewegungslosigkeit schwitze. Aber bald schlafe ich ein.
Moskau Teil 2
Bei meiner Ankunft hatte ich mit dem Hotel “Late-Checkout” vereinbart. Ich kann also bis um 14:00 im Zimmer bleiben. Dies passt genau zu meinen Reiseplänen, denn ich sollte spätestens um 15:30 am Bahnhof sein.
Ich schlafe mich erst einmal richtig aus, schließlich habe ich ja Urlaub. Dann entschließe ich mich nicht wieder sofort in die Hitze nach draußen zu gehen (eigentlich wollte ich noch den Gorki-Park besuchen!) sondern im angenehm temperierten Hotelzimmer zu bleiben und Artikel für den Blog zu schreiben. Die Bildbearbeitung, die Textkorrekturen und die langsame Internetverbindung lassen die verbleibenden Zeit schnell schrumpfen.
Bevor ich auf die lange Zugfahrt gehe, sollte ich vielleicht noch etwas gutes Essen. Draußen auf der Terrasse bestelle ich den Marriott Classic Burger. Nach ein paar Minuten bringt die Kellnerin den Burger genauso wie ich ihn aus dem Marriott in London kenne. Globale Welt mit Standards. Vielleicht hätte ich doch ein nationales Gericht wählen sollen. Aber vorerst wollte ich kein Risiko eingehen.
Als ich wieder zurück in mein Zimmer will, öffnet sich die Türe nicht mehr. Bestimmt ist meine Karte falsch programmiert und weiß nichts von “Late-Checkout” Ein kurzer Besuch an der Rezeption behebt das Problem. Ich packe den Rucksack und mache mich auf den Weg nach unten. Die Rezeptionistin will von mir wissen wo ich denn jetzt hinfahre. Wahrscheinlich hat sie nicht alle Tage einen Reisenden mit Riesen-Rucksack vor sich stehen. Ich erkläre ihr meine Route und sie ist erstaunt und begeistert. Zum Abschied wünscht sie mir viel Glück. Vielleicht hat sie mehr Vorahnung von dem was kommen wird als ich.
Draußen ist es fürchterlich heiß. Nun rieche ich auch den Qualm in der Luft. Ich muss ca. 1 km zur Metro-Station laufen. Der Schweiß rinnt mir nur so runter. Völlig erschöpft erreiche ich die Metro-Station und weil ich so viel Zeit habe erhole ich mich erst einmal vor dem Kassenhäuschen und trinke eine Flasche Wasser. Das Kaufen der Fahrkarte gestaltet sich schwieriger als erwartet. Ich versuche der Schalter-Beamtin mein Reiseziel zu erklären. Sie versteht nur Bahnhof (im wörtlichen Sinne) und ich verstehe kein Wort, was sie von mir will. Ich verliere die Geduld und sage “adin Billet”. Das versteht sie und gibt mit das ersehnte Ticket, was mit 26 Rubel (0,66 Cent) sicher überzahlt ist.
Ich steige hinab in die Metro und finde sofort den richtigen Bahnsteig. Der Zug ist in der Mittagszeit nicht sehr voll und so kann ich meinen schweren Rucksack gut abstellen. Schon nach drei Stationen erreiche ich meinen Zielbahnhof, der auch gleich in der Nähe des Bahnhofs liegen soll, wo mein Zug nach Ekaterinburg (ehemals Sverdlovsk) abfahren soll.
Ich steige aus und nehme die Rolltreppe nach oben. In der Wartehalle herrscht ein Gewusel und jede Menge “zwielichtige” Gestalten hängen rum. Viele haben wegen der Hitze die T-Shirts hochgekrempelt und man sieht jede Menge nackte, dicke Männerbäuche.
Draußen vor dem Bahnhof steht ein Polizeiauto. Ich klopfe an die Scheibe und frage den Polizist in astreinem russisch, wo denn der Bahnhof Kazanskaia ist. Er sagt “Hier”. Da ich ihn wohl so unverständlich anschaue, deutet er mir mit Händen und Füssen auf ein zweites großes Portal zum Bahnhofseingang. Nach wenigen Metern erreiche ich das innen sehr dunkle Bahnhofsgebäude. Ich laufe einfach durch eine Tür in der Annahme dies sei der Weg zu den Gleisen. Plötzlich stehe ich in einer riesigen sehr schön ausgestatteten Wartehalle mit einer sehr schön bemalten Decke. Ich suche mir ein ruhiges Plätzchen und versuche etwas meinen überall rinnenden Schweiß zu trocknen. Plötzlich stürzt eine Frau Typ russischer Feldmarschall auf mich zu und redet unablässig auf Russisch. Ich zucke nur die Schulter? Dann sagt sie “Money, money” und mir wird klar, dass man hier Eintritt zahlen muss. Sie sagt eine Zahl die ich nicht richtig verstehe, weiß aber dass es mehr als 100 ist. Ich gebe ihr 200 Rubel, die sie mir sofort aus den Händen reißt. Nach wenigen Augenblicken bringt sie mir das Wechselgeld zurück und ich weiß jetzt dass die Zahl 160 war (4 EUR). Aber das ist es wert. Es gibt kostenlos WiFi und die Sessel sind sehr breit und komfortabel.
Ich melde mich telefonisch kurz bei meiner Familie und schon taucht noch ein kleineres EDV-Problem zuhause auf, was ich dank WIFI und Laptop schnell fixen kann. Einfach unvorstellbar, man sitzt in Moskau 2000 km von daheim entfernt und arbeitet mal schnell ein paar Minuten auf dem heimischen PC als wäre man dort!
Kurz vor 16:00 werde ich unruhig, weil ich immer noch nicht weiß wo die Gleise sind. Ich packe meine Sachen und gehe in die dunkle Bahnhofshalle. Plötzlich entdecke ich die hochmoderne digitale Anzeigetafel der ankommenden und abfahren Züge. Mein Zug steht auch schon auf der Tafel (in Russisch, gut dass ich wenigstens die Zeichen lesen kann und weiß dass Ekaterinburg früher mal Sverdlovsk hieß). Der Bahnsteig ist noch nicht genannt. Es ist wohl mit 50 Minuten bis zur Abfahrt doch noch zu früh. Ich lasse mich in der Nähe eines russischen Paares nieder und habe das Glück, das der Fächer der Frau auch mir die kühle Luft zu wedelt.
Nach ein paar Minuten zeigt die Anzeige Gleis 2. Ich sehe die Ausgänge zu den Gleisen und komme an die Bahnsteige. Die Größe des Bahnhofs ist überwältigend und mit Frankfurt durchaus zu vergleichen. In der Halle wimmelt es von Menschen. An Gleis 2 steht noch kein Zug und so heißt es weiter warten. Mit meinem schweren Rucksack suche ich mir ein gutes Plätzchen und warte geduldig auf die Ankunft des Zuges. Nach weiteren paar Minuten kommt der Zug in den Bahnhof eingefahren. Ich suche den Wagen Nr. 6. Beim Laufen entlang des Zuges merke ich, dass die Nummerierung bei 1 beginnt, wie erwartet, ich also 6 Wagons nach vorne laufen muss. An der Tür steht schon eine sehr junge und bildhübsche Provodnitza (Schaffnerin) der ich mein total durchnässtes Ticktet zeige. Sie prüft es sorgfältig, will dann noch meinen Pass sehen und sagt mir auf Russisch, dass ich gleich das erste Abteil habe. Ich steige ein und bin sehr überrascht von dem Luxus des Abteils. Alle ist sehr geräumig, viel geräumiger als in dem Zug von Deutschland nach Moskau. Es kommt auch kein weiterer Gast und ich bleibe allein im Abteil. Es ist angenehm temperiert (nicht zu kalt) und ich fühle mich richtig wohl. Pünktlichst setzt sich der Zug in Bewegung Richtung Ekaterinburg. Wir fahren durch die Vorstädte Moskaus. Schnell sind bald keine Häuser mehr zu sehen. Nur noch endlose Misch- und Birkenwälder. Man sieht den Rauch in der Luft immer dichter werden. Mittlerweile kann ich kaum mehr 100 Meter in die Landschaft schauen. Alles sieht wie in dichtem Nebel aus. Auch riecht man jetzt den Rauch im Zug und die Klimaanlage wird zeitweise abgestellt. Ab und zu sieht man mal an der Strecke verkohlte Waldbereiche. Hier muss es erst vor kurzem gebrannt haben. Auch sieht man viele Waldarbeiter, die den 20 Meter-Bereich neben den Gleisen abholzen um eine Brandschneise zu haben. Das geht ca. 6 Stunden(also ca. 600 km) so weiter. Die Provodnizas kommen alle paar Minuten und fragen ob ich etwas essen oder trinken möchte. Ein Bier genehmige ich mir und gehe dann schön müde in meine sehr bequeme Koje, die mindestens 20 cm länger ist als in dem letzten Zug.
Moskau Teil 1
Ich wache vom Schnarchen der Damen unter mir auf. Hoffentlich habe ich nicht die ganze Nacht geschnarcht, dass sie nun den Schlaf der Nacht nachholen müssen. Aber ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch über zwei Stunden Zeit bis zur Ankunft in Moskau habe. Also noch ein wenig gedöst, aber dann kommt langsam Unruhe ins Abteil. Die Damen stehen auf und wollen sich für die Ankunft in Moskau schick machen. Also verlasse ich das Abteil und schau draußen aus dem Fenster. Über der ganzen Landschaft liegt ein seltsamer Nebel, dachte ich erst, aber dann kommt mir der Gedanke, dass das nur der Rauch von den Waldbränden sein kann. Da der Zug hermetisch abgeriegelt ist, riecht man das aber nicht. Je näher wir Moskau kommen umso dicker wird der Qualm. Abgebrannte Wälder oder Felder sehe ich nicht.
Nur wenig später fahren wir pünktlich auf die Minute in den top renovierten Bahnhof Belorusskaja ein. Alles sieht sehr sauber und neu gemacht aus. Überall digitale Anzeigen und modernes Equipment. Mein Abholer Pavel ist nicht am Bahnsteig, aber schon nach einer Minute klingelt mein Blackberry und Pavel meldet sich. Er ist im Stau stecken geblieben und nun zu Fuß auf dem Weg zum Bahnhof. Ich soll schon auf den Bahnhofsvorplatz kommen. Aber vor lauter russischen Schildern, die ich nicht sofort lesen kann, nehme ich natürlich den falschen Ausgang. Von Pavel weit und breit keine Spur. Dank Mobilkommunikation sage ich Pavel, dass ich zurück zum Zug gehe. Dort sehe ich ihn dann schon und begrüße ihn herzlich. Er hat mir bei der Organisation der Reise enorm geholfen und mich in allen Fragen sehr unterstützt.
Da Pavel sein Auto einfach in der Stadt im Stau hat stehen lassen, müssen wir nun ein Taxi zum Hotel nehmen. Draußen ist es unendlich heiß, ich schätze mindesten 38 Grad. Weit und breit ist kein Taxi zu sehen, obwohl viel Verkehr auf der Straße ist. Pavel spricht einfach einen Mann an, der wartend in seinem Privatauto sitzt. Sie vereinbaren wohl den Preis und los geht die Fahrt. Obwohl der Fahrer ein TomTom Navi hat findet er nicht den Weg und Pavel muss ihm erklären wie er fahren soll. Ja als Ausländer hätte man jetzt allein in einer solchen Situation schlechte Karten.
Ich wohne im Marriott Aurora, was ich schon von meinen Dienstreisen nach Moskau kenne. Ich werde herzlich an der Rezeption begrüßt (Computer merken sich ja, dass ich schon mal da war!) und bekomme schon sehr früh (es ist ja gerade erst 11:00) ein sehr schönes Zimmer mit allem Komfort. Ich freue mich auf die Dusche!
Frisch geduscht mache ich mich auf den Weg um die Stadt zu erkunden. Ich will wegen der Hitze nicht soweit laufen und bleibe im Gebiet um den Kreml, wo sich auch mein Hotel befindet. Ich war schon sehr oft dienstlich in Moskau, hatte aber bisher nie die Gelegenheit den Kreml von innen anzuschauen. Aber erst einmal stärke ich mich bei MC. Drinnen herrscht ein Andrang wie ich es nie erlebt habe. Heute ist der Tag der Marine und überall in der Stadt laufen grölende, betrunkene Marine-Soldaten durch die Stadt und wehen mit ihren blauen Fahnen. Begleitet werden sie von russischen Schönheiten.
Bei MC erlebe ich eine ganz neue Anwendung von Mobile-Computing. Ein Mitarbeiter von MC mit einem mobilen Computer fragt die in der Schlange wartenden Menschen nach ihren Wünschen und erfasst über ein paar Klicks den Auftrag. Für dumme Ausländer wie mich hat er eine Bildertafel dabei und ich muss nur auf die Bildchen zeigen. Danach gibt er mir einen Zettel mit der Bestellnummer. Die Kassiererin kann nun mit der Bestellnummer den Auftrag in die Kasse holen und die Bearbeitungszeit beschränkt sich auf das Holen der bestellten Artikel. Irgendwie eine klasse Idee!
Draußen schaue ich dem Treiben der Soldaten zu und führe mein vorerst letztes Dienstgespräch mit meinem Vertreter. Er ist erst heute aus dem Urlaub zurück gekommen und wir hatten keine Gelegenheit zur Übergabe der “Amtsgeschäfte”. Es liegt aber nicht viel an und so kann ich mich auf den Weg zu Kreml machen.
Vor der Brücke zum Kreml ist eine lange Schlange, weil jeder Besucher intensiv untersucht wird. Alle müssen durch eine Sicherheitsschleuse wie am Flughafen. Ich habe ein Ticket für die Architektur des Kreml. Es gibt x-verschiedene Touren und Möglichkeiten der Besichtigung. Schon die ersten Blicke hinter der Kreml-Mauer sind beeindruckend. Überall vergoldete Kirchtürme und ein Prunk wie man ihn selten so konzentriert an einem Ort sehen kann. Ich mache mich auf den Weg von Kapelle zu Kapelle und bin beeindruckt von den kunstvollen Werken. Leider ist überall das Fotografieren im Inneren verboten und die Einhaltung des Verbotes wird auch streng kontrolliert. Ich wandere noch ein wenig durch die sehr schöne Parkanlage und entdecke die große Zaren-Glocke. Sie muss ein unvorstellbares Gewicht haben.
Die Hitze macht mir schwer zu schaffen und ich will in das gut klimatisiert Kaufhaus GUM flüchten, was ich schon von meinen vorherigen Besuchen kenne. Aber leider ist heute der Rote Platz hermetisch abgeriegelt, wohl aus Angst vor Randale der besoffenen Marine-Soldaten. Ich finde aber einen alternativen Weg und erhole mich etwas im Kaufhaus. Überall nur schickste Geschäfte und Boutiquen. In einem Nebengang entdecke ich eine Automobilausstellung von Audi. Audi hat wohl sein gesamtes Museum und jede Menge edle Neuwagen nach Moskau verbracht um hier zahlungskräftige Russen zum Einkaufen zu bewegen. Im neuen Audi A8 räkelt sich eine junge russische Schönheit und preist die Vorzüge des Autos an. Ja, so verkauft man Autos in Russland.
Ich mache mich auf den Weg zurück zum Hotel und suche nach einem Supermarkt um noch ein paar Kleinigkeiten für die kommende Zugfahrt zu besorgen. In dem Gebiet um den Kreml sind aber nur Luxusgeschäfte und kein normaler Supermarkt. Ich versuche mein Glück im noblen Kaufhaus Tsum, was in direkter Nachbarschaft zum Bolschoi-Theater liegt. Im Untergeschoss werde ich fündig und ich lande im noblen Lebensmittelmarkt. Hier gibt es alle Köstlichkeiten dieser Welt und sehr ausgefallene Spezialitäten. Auf die Preis darf man auch nicht genau schauen, sonst wird einem schwindelig. Ich kaufe nur etwas Instant-Kaffee, Wasser und zwei Äpfel. Dafür rappe ich fast 20 EUR!
Zurück im Hotel entspanne ich etwas für den kommenden Abend. Ich habe Pavel und meine Ex-Kollegin Fargane zum Abendessen eingeladen. Pavel hat einen Tisch auf dem Dinner-Boot des Radisson-Hotels gebucht. Wir sind um 19:45 in der Lobby verabredet. Schon am Morgen hatte ich Pavel gefragt, ob das ausreichend ist. Das Schiff legt pünktlich um 20:30 ab. Pavel meinte aber, dass dies vollkommen ausreicht. Fargane ist pünktlich in der Hotelhalle. Wir begrüßen uns herzlich. Sie war die HR-Managerin in unserem Büro in Moskau und hat in Halle studiert. Deswegen spricht sie auch hervorragend deutsch. Nur Pavel ist wieder mal nicht da. Er steckt mit dem Fahrer im Stau. Wir laufen ihm zwei Straßen entgegen und dann können wir im Stau in den noblen Audi A8 von unserem Büro steigen. Der Fahrer gibt sein letztes um uns pünktlich zum Pier zu bringen. Mit der letzten Durchsage erreichen wir das Schiff und rennen an Bord.
Alles ist sehr modern und nagelneu. Viele Kellner kümmern sich um unser Wohl. Wir genießen die Ausblicke auf Moskau von der Moskwa aus und reden über alte Zeiten. Ein sehr gelungener Abend!
Der Fahrer bringt mich zurück zum Hotel und ich vereinbare mit Pavel, dass ich morgen alleine zum Bahnhof fahren kann. Fargane erklärt mir nochmal genau die Metrostationen. Nun sollte es kein Problem sein den Bahnhof zu finden.
Müde falle ich ins Bett und schlafe sofort ein.