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Um nicht wegen der fortschreitenden Zeitverschiebung (es sind jetzt immerhin schon 4 Stunden zu Deutschland) stelle ich mir den Wecker auf 9 Uhr. Die Dusche ist grausam eng und das Wasser riecht modrig. Das Zähneputzen an dem kleinen Waschbecken wird zur Akrobatikübung, weil ich mit der Hand das Wasser für meinen Mund auffangen muss. Ein Glas gibt es nicht.

Voller Tatendrang betrete ich den Frühstückraum und gebe meine Frühstücksmarke ab. Überall sehe ich Schlüsseln mit Köstlichkeiten stehen, aber keine der Köstlichkeiten kommt mir bekannt vor. Irgendwann entdecke ich die internationale Ecke. Dort gibt es Rührei, Würstchen, Käse und Brot. Auch lecker Trinkjoghurt ist im Angebot. Der Kaffee kommt aus einem Riesenbottich und schmeckt dementsprechend. Aber ich genehmige mir sogar eine zweite Tasse. So schlimm kann es also gar nicht sein.

Mit der Kamera bewaffnet erobere ich die Stadt. Vorher habe ich auf dem iPad Wikihood konsultiert. Das ist die tollste Sache die ich auf dem iPad habe. Der iPad stellt per GPS die aktuelle Position fest und sucht dann im Internet (speziell auf Wikipedia) alle Artikel, die zu dem aktuellen Standort passen. Und dann stellt er auch noch semantische Zusammenhänge fest und zeigt das alles in einer übersichtlichen Liste an. Also ein individuell zusammen gestellter Reiseführer. Ich lese speziell die Geschichte zu der “Kirche auf dem Blute”.

An dieser Stelle stand vorher das sogn. Ipat’ev Haus, benannt nach dem Erbauer. In diesem Haus wurde 1918 der Zar Nikolaj II mit seiner Familie und seinen Angestellten von den Boplschewiken grausam umgebracht und 40 km von Ekaterinburg verscharrt. Um den Ort nicht zur Walfahrtstätte für treue Monarchieanhänger werden zu lassen, lies Boris Jelzin in 1977 das Haus in einer Nacht- und Nebelaktion abreißen. Treue Anhänger des Zaren sammelten jedoch Spenden von Minenbetrieben ein und bauten diese prunkvolle Kirche an dieser Stelle. Im Umfeld der Kirche sind auch weitere kleinere Kapellen aus Holz entstanden.

Bevor ich die Kirche erreiche laufe ich durch einen kleinen Park und auf einer Bank sitzen zwei Mädchen. Das eine Mädchen spricht mich einfach an, wo ich denn herkomme. Sie spricht sehr gutes Englisch und fragt mich richtig aus. Sie fotografiert mich vor der Kulisse der Kirche. Ein guter Zufall, denn sonst ist man immer selbst hinter der Linse. Ich erzähle den Mädchen von der Kirche und sie sind erstaunt über mein Detailwissen. Es stellt sich heraus, dass die beiden auf Tjumen sind (ca. 500 km entfernt) und einfach mal ihre Tante besuchen wollen. Die steht auf einem kleinen Markt neben der Kirche, aber die Mädchen wussten nicht wo die Kirche genau ist. Aber das haben wir ja nun geklärt. Ich gehe in die Kirche und die Mädchen sagen mir, dass sie als Frauen nicht ohne Kopfbedeckung in die Kirche dürfen. So trennen sich unsere Wege, bzw. ich treffe die beiden hinterher am Marktstand ihrer Tante wieder.

Das Innere der Kirche ist sehr prunkvoll und viele Menschen sind innig ins Gebet vertieft. Viele scheinen einfach nur ein paar Minuten Ruhe und Zuflucht vor der Hektik des Alltags zu suchen und zu beten oder toter Angehöriger zu gedenken. Viele stecken eine kleine Kerze vor dem Altar an.

Ich lasse mich einfach treiben und gehe in Richtung eines großen Binnensees, der mich sehr an die Alster in Hamburg erinnert. Die Promenade ist sehr schön gestaltet und jede Menge bildschübsche, hochhackig beschuhte Russinnen flanieren entlang. Ich komme auch an einem sehr schön bemalten Gebäude entlang und fotografiere es. Plötzlich fährt mit Polizeieskorte ein schwarzer Mercedes mit Blaulich an den Hintereingang und wie von Geisterhand wird ihm das Tor aufgemacht. Später erfahre ich, daß dies der Regierungssitz des Gouverneurs des Oblast Sverdlovsk ist. In diesem Gebäude wurde auch vor wenigen Wochen Angela Merkel mit ihrer Delegation aus Politik und Industrie empfangen. Unter anderem soll Siemens da 240 neue Schnellzüge verkauft haben. Ein Trip mit der transsibirischen Eisenbahn wird in 10 Jahren also definitiv anders aussehen.

Ich laufe noch etwas die Promenade entlang und die Mittagssonne brennt doch mächtig. Daher entschliesse ich mich bei dem nächsten Straßen-Restaurant ein Cola zu trinken. Welch ein Zufall treffe ich in dem Restaurant das französische Ehepaar aus dem Zug von Moskau nach Ekaterinburg wieder. Wir begrüßen uns herzlich und tauschen die Informationen zu den Sehenswürdigkeiten aus. Beide können sehr gut Englisch und ich ein wenig Französisch und so klappt die Kommunikation problemlos. Nur die russische Fremdenführerin, die die beiden engagiert haben, kann nur russisch. Entsprechend holprig sind die Versuche Informationen über die Stadt zu bekommen. Der Mann gibt mir einen Prospekt von Stadtführungen von einer Firma “Citytour”. Eine Tour hört sich sehr interessant an, nämlich eine Fahrt zu der Grenze zwischen Europa und Asien, die ca. 20 km außerhalb der Stadt liegt. Kurzerhand beschließe ich, dies noch zu versuchen. Es ist zwar schon 15:00 Uhr, wenn ich mich beeile ist das vielleicht doch zu schaffen. Der Mann erklärt mir noch kurz, daß die Firma ihr Büro in dem runden Hochhaus hat, was ich von dem Platz sehen kann und was ca. 2 km entfernt liegt.

Ich mache mich flotten Schrittes auf den Weg, komme an dem Stadion von “Dynamo Ekaterinburg” vorbei und erreiche bald das runde Hochhaus. Nur von Geschäften ist weit und breit nichts zu sehen. Ich frage zwei Skateboard fahrende Jungen aber die schauen mich nur ganz ungläubig an. Wahrscheinlich ist mein russisch doch nicht so perfekt. Dann laufe ich ein weiteres Mal um die runde Halle, die vor dem Hochhaus liegt. Es ist eine Basketball-Halle und wie überall steht Sicherheitspersonal. Der Wachmann scheint die Firma zu kennen. Er zeigt mir eine Tür in die ich hinein gehen soll. Ich sehe immer noch keine Firma Citytour und der Wachmann kommt mir hinterher und öffnet mir die Türe zum Büro. Wie sich eine Firma so gut verstecken kann und trotzdem Kunden hat. Die Agenturcheffin ruft schnell den Fahrer und einen Guide an und sagt mir, dass die Tour um 17:30 losgehen kann. Die Stunde Wartezeit vergeht wie im Fluge und bald erscheint mein Tourguide Evgeny, der mir alle Sehenswürdigkeiten erklären soll.

Evgeny ist Student für “Internationale Beziehungen” und macht gerade seinen Abschluss. Er verdient sich mit den Touren sein Taschengeld. Wir machen uns mit dem Fahrer auf den Weg auf die neue Autobahn nach Moskau. Man soll in ca. 2 Tagen die Strecke mit dem Auto schaffen können. Mit dem Zug habe ich “nur” 25 Stunden gebraucht. Deswegen ist Bahnfahren auch so beliebt in Russland. Wir erreichen als erstes eine Totengedenkstätte für russische Dissidenten, die kurz vor dem zweiten Weltkrieg hier massenweise umgebracht wurden. Die meisten mussten ihr Grab eigenhändig schaufeln.

Als nächstes erreichen wir den ersten Grenzpunkt. Ich bin hier nun genau 3502 km von Berlin und 4685 von London entfernt und stelle mich mit je einem Bein nach Europa und Asien. Die Grenzstatue ist ein beliebter Treffpunkt für Paare, die sich die ewige Liebe schwören. Als Symbol befestigen Sie ein Vorhängeschloss an dem Gitter und werfen den Schlüssel weg. Hoffentlich hilft das immer. Investoren wollen eine große Kopie der Staue quer über die neue Autobahn bauen, weil die kleine Ausführung leicht von den vorbei fahrenden Autos übersehen werden kann.

Wir fahren weiter zum nächsten Grenzpunkt und dieser Obelisk ist ungleich größer. Die Sage spricht, daß Zar Alexander II einmal mit der Kutsche an diesem Denkmal vorbei kam und anhalten ließ. Er packte russische Schokolade aus, holte eine Flasche Champagner aus der Kutsche und trank mit seiner Frau ein Gläschen auf Russland. Danach zerschmetterte er die Gläser an dem Obelisken. Evgeny hat eine Überraschung für mich. Erstens überreicht er mir eine Urkunde zur “erfolgreichen” Überquerung der Grenze zwischen Europa und Asien. Dann packt auch er Schokolade und Sekt aus und wir tun es Zar Alexander und seiner Frau gleich. Nur die Gläser wollen nicht kaputt gehen, denn es sind Plastik-Kelche. Sofort kommen in mir die Erinnerungen an den Abschied in Darmstadt hoch, wo wir auch aus solchen Gläsern getrunken haben. (kleines Heimweh…)

Die Tour endet auf dem lokalen Friedhof, wo wir kurz die pompösen Gräber der reichen Mafiosi “besichtigen” Nie habe ich prunkvollere Gräber gesehen. Ab 1990 wurden mit der Perestroika die Machtverhältnisse neu sortiert und so mancher Mafia-Boss ist dabei auf der Strecke geblieben. Hier hat man ihnen wirkliche Denkmäler gesetzt.

Müde und voller Eindrücke komme ich wieder ins Hotel und lasse den Abend beim schon bekannten Japaner ausklingen.

Obwohl ich wirklich viel gesehen habe, habe ich doch das Gefühl nur einen winzigen Ausschnitt der Pracht dieser Stadt gesehen zu haben. Also irgendwann muss ich doch noch mal hier her kommen!

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