postheadericon Meine längste Zugetappe

Kindergeschrei weckt mich. Ich fühle mich elend. Es ist noch viel zu früh, meine Nase ist zu und mein Schädel brummt. Irgendwie habe ich mir auf dem kalten Bahnsteig doch eine Erkältung geholt. Außerdem ist es unendlich heiß im Abteil. Krampfhaft versuche ich das Geschrei zu ignorieren, was mir hin und wieder gelingt. Ich döse noch bis halb elf vor mich hin. Schließlich habe ich noch über 30 Stunden Bahnfahrt vor mir.

Die Landschaft ändert sich nicht wesentlich. Bäume, Bäume, Bäume bis sehr nah an die Bahnstrecke heran. Von Waldbränden ist hier aber nichts zu sehen. Die Dame aus dem Restaurant kommt vorbei und bringt uns unser “Inclusiv-Frühstück”, es ist eine kleine Plastikbox mit ein paar Keksen, einem Döschen Marmelade und Margarine, einer kleinen Waffel und jeweils einem kleinen Beutel Tee und Kaffee. Aber wenn man Hunger hat, kommt das gerade Recht. Ich koche den Tee in der Thermoskanne und kann so immer ein wenig trinken. Der heiße Tee macht sogar den Aufenthalt in der Hitze angenehmer.

Die Stunden rinnen nur sehr langsam dahin. Gott-sei-Dank macht das Gör einen langen Mittagsschlaf und auch ich nutze die Zeit für ein kleines Nickerchen. In der Zwischenzeit hat die Bedienung aus dem Restaurant das “Mittagessen” gebracht. Es wieder das Plastikschälchen, diesmal mit Reis und Hähnchengeschnetzeltem gefüllt. Dazu etwas Krautsalat. Es ist mehr als ich gedacht habe und ich bin nachher richtig satt.

Wieder aus dem Fenster schauen und aus dem Fenster schauen. Der Versuch ein Buch zu lesen, scheitert sofort an dem dauernden Gezeter der Kleinen. Sie hat es faustdick hinter den Ohren und ihre junge Mutter ist nahezu hilflos. Ab und zu mal wird die Mutter etwas lauter und weist die Kleine in die Schranken aber das wird sofort mit lang anhaltendem Geheule quittiert. Da wir von West nach Ost fahren und das Abteil auf der rechten Seite in Fahrrichtung ist, scheint den ganzen Tag die Sonne von Süden in unser Abteil. Auch die zugezogenen Vorhänge können nicht verhindern, dass es über 30 Grand werden. Ich schwitze und schwitze und meine Nase läuft wie ein Wasserfall. Aber es sind ja fast nur noch 24 Stunden bis zur Ankunft in Khabarovsk. Und eine Nacht mit viel Ruhe liegt auch noch vor mir.

Ich beschließe ins Restaurant zu gehen und auf dem Weg dorthin merke ich wie kühl die anderen Wagons sind. Vor dem Restaurant ist die Tür im Wagon ausgehängt und durch ein halb hohes Gitter ersetzt. Das bietet hervorragende Aussichten auf den Zug, wenn er ein Kurve fährt. Leider habe ich die Kamera nicht dabei. Aber ich laufe schnell zurück zum Abteil, denn die Verlockung auf einen schönen Schnappschuß ist es einfach wert. Als ich zurück komme hindert mich ein Angestellter de Restaurants daran der offenen Türe nahe zu kommen. Obwohl er dauernd Russisch redet verstehe ich, dass er wohl Angst hat, dass ich aus dem Zug falle. Ich lege mich nicht mit ihm an und befolge seine Anweisungen (erst einmal!). Auch das Restaurant ist angenehm temperiert. Ich trinke erst mal ein Bier. Wahrsteiner ist leider nicht gekühlt und so entscheide ich mich für russisches Bier. Den Unterschied spüre ich nicht wirklich, denn es ist eiskalt. Nach einer Weile fragt die Bedienung, ob ich noch etwas essen möchte und bringt mir die Karte. Alles auf Russisch. Dann kommt sie zu mir wieder an den Tisch und fragt mich sehr effizient, was ich denn haben möchte: erst Salat, Suppe oder Hauptgericht? Dann Fleisch, Fisch, oder Hähnchen? Dann Kartoffeln, Reis oder Nudeln? Dann Gemüse oder nicht? Ich nehme ein Stück Fleisch vom Schwein, Kartoffeln und Gemüse. Nach ein paar Minuten kommt ein goldbraunes Schweineschnitzel mit Pommes und einer nett verzierten Gemüsebeilage. Na geht doch, denke ich, auch auf Russisch.

Zwischendurch verschwinde ich mal kurz und die Luft an der offenen Zugtür ist rein. Ich schieße schnell ein paar schöne Fotos vom Zug in der Kurve. Und schnell gehe ich wieder ins Restaurant zurück.

Es wird langsam dunkel draußen und ich gehe zurück ins Abteil. Schwül warme, stickige Luft empfängt mich als ich Türe zum Abteil öffne. Aber was soll’s, da muss ich jetzt durch. Die Mami liegt mit ihrer Tochter schon im Bett und sie schlafen schon. Auch ich verkrieche mich schnell in meine Koje und versuche zu schlafen. Ich habe noch viel Zeit dem gleichmäßigen Klappern der Räder zu Lauschen.

Am nächsten Morgen hat das Girlie gute Laune! Sie singt lauthals und in schiefen Tönen russische Kinderlieder und Mammi summt mit. Ich könnte die Beiden auf den Mond schießen. Aber ich bleibe freundlich, lächle den beiden mal kurz zu und drehe mich wieder um. Die Hitze ist wieder unerträglich. Aber es sind ja “nur” noch ca. 8 Stunden Zugfahrt. Draußen ist die Landschaft jetzt karger geworden. Man sieht endlose Steppen mit ein paar Baumgruppen. Am Horizont erheben sich unbewaldete Hügel. Häuser werden auch immer seltener. Wir fahren zwar immer mal wieder durch einen kleinen Bahnhof, aber in der Regeln hält unser Zug nur ca. alle 3 Stunden. Die Bahnhöfe sind auch sehr “provinziell” und die Häuser rings rum sind auch sehr dörflich.

Ca. 2 Stunden vor der Ankunft in Khabarovsk wird es langsam hektisch im Zug. Auch die Mutti muss ihre vielen Kisten, Plastiktaschen, Reisetaschen und Koffer langsam wieder packen. Russen verreisen halt immer irgendwie wie beim Umzug und haben Lebensmittel für mindestens die doppelte Anzahl von Menschen und für mindestens 2 Wochen dabei, auch wenn Sie “nur” zwei Tage im Zug unterwegs sind.

Eine Stunde vor der Ankunft will die Provodniza unsere Bettwäsche haben. Und so langsam bin ich froh, diese Etappe überstanden zu haben. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof überqueren wir noch die sehr imposante Brücke über den Fluß Amur. Dieser Fluss fließt in den Pazifik, den ich in ein paar Tagen auch aus dem Zugfenster sehen werde.

Am Bahnsteig empfängt mich eine bildhübsche junge Frau. Es ist Tatiana, die ich über Couchsurfing gefunden habe. Sie wohnt mit ihren Eltern am Stadtrand in einem Plattenbau, wie ich jetzt schon einiuge kenne. Ihre Eltern sind in Urlaub und so kann ich ein Zimmer für mich alleine haben. Morgen früh kommt noch ein weiterer Gast aus Irland.

Wir gehen erst mal in den nahen Supermarkt und kaufen ein paar Dinge für das Abendessen. Sie ist Tanzlehrerin für argentinischen Tango und gibt heute Abend noch eine Doppelstunde in einem Zimmer der Wohnung. Ich sitze im Nebenraum und lese ein wenig die neusten Zeitungen aus Deutschland auf dem iPad.

Als sie fertig ist, machen wir es uns in der Küche gemütlich, essen, trinken Bier und erzählen uns gegenseitig von unseren Kulturen. Sie ist bereits sehr viel in Europa rumgekommen und sobald sie etwas Geld zusammen gespart hat, verreist sie wieder schnell irgendwo hin. Sie meint, Europa ist so klein, dass sie schneller ganz Europa gesehen hat, als in die nächste größere russische Stadt zu fahren.

Langsam werde ich müde und ich muss etwas Schlaf nachholen. Ich bekomme ein Matratze und sie hat frische Bettwäsche für mich. Das Einschlafen fällt mir diesmal nicht sehr schwer in der ruhigen Wohnung.

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