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Sapporo im Schnelldurchgang
Heute habe ich mir mal ein Frühstück im Hotel geleistet. Es hat die stolze Summe von 1.500 Yen gekostet (fast 15 EUR). Als ich den Frühstücksraum betrete, sitzen schon eine Menge Japaner in den japanischen Schlafanzügen und weißen Schlappen beim Frühstücken. Endlich entdecke ich auch “normal” gekleidete Menschen. Ich hatte schon einen Schreck bekommen und wollte gerade wieder hoch auf mein Zimmer um mich umzuziehen.
Das Buffet bietet Allerlei. Die meisten Sachen sind nur schwer identifizierbar, ich probiere mal hier und mal da, meistens ist es Fisch. Dann nehme ich noch etwas von dem europäischen Buffet, das aber lange nicht so gut schmeckt wie bei uns. Ich bleibe also bei den japanischen Speisen und esse noch eine leckere Fischsuppe mit Gemüse. Auch trinke ich hier seit fast einem Monat meine erste Tasse Kaffee.
Gut gestärkt und gelaunt mache ich mich zu Fuß auf den kurzen Weg zum Bahnhof. Mein Zug fährt um 07:10 ab. Viel zu früh erreiche ich das Bahnhofsgebäude und es stehen bereits eine Menge Passagiere fein aufgereiht vor dem Zugang zum Bahnsteig. In Japan werden die Fahrkarten vor dem Betreten des Bahnsteiges entweder automatisch oder durch Personal kontrolliert, dann mindestens einmal im Zug und ein weiteres Mal beim Verlassen der Station. Wenn man weiter gefahren ist, als auf der Fahrkarte angegeben, muss man dann an der Kontrollstelle nachzahlen.
Ich habe für diesen Zug keinen reservierten Platz. Als ich aus Versehen in das Abteil mit den reservierten Plätzen einsteige, schickt mich der Schaffner umgehend wieder raus. Weiter vorne ist der Wagen für die Passagiere, die keinen fest reservierten Sitzplatz haben. Da dies aber der Start des Zuges ist, und in Wakkanai nicht wirklich viel los ist, bekomme ich ohne Probleme einen Sitzplatz am Fenster. Kurze Zeit setzt sich neben mich ein ganz und gar nicht japanisch aussehender Mann und im Gang gegenüber eine ohne Zweifel japanische Frau. Ich komme mit dem Mann ins Gespräch. Er kommt aus Amsterdam und besucht gerade mit seiner Frau die Schwiegereltern. Sie haben einen Ausflug zum nördlichsten Punkt in Japan gemacht und sind nun auf dem Rückweg. Wir unterhalten uns viel über Japan. Sie sind auch beide sehr interessiert an meiner Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn und ich zeige ihnen meine Fotos auf dem iPad. Leider muss ich den Zug bald verlassen, um in Asahikawa den Japan Rail Pass zu besorgen.
Ohne Probleme finde ich das Tourist Office. Sofort kommt ein Mann und führt mich an den wartenden Menschen vorbei zu einem Sonderschalter. Hier werde ich bevorzugt abgefertigt. Ich muss meinen Pass zeigen, denn der Japan Rail Pass ist nur für nicht in Japan Lebende. Alle Daten werden sorgfältig noch einmal in ein Formular übertragen und dann halte ich das begehrte Stück in meinen Händen. Nun kann ich 7 Tagen lang alle JR Eisenbahnen nutzen, soviel wie ich will. Auch die schnellen Eisenbahnen, die hier Shinkansen genannt werden, darf ich benutzen. Man muss den Gutschein dafür aber bereits im Ausland bei einem Reisebüro oder JAL erwerben. Ich erhalte auch gleich noch ein Reservierungsticket für meine Weiterfahrt nach Sapporo.
Die Landschaft ist hügelig und immer mal wieder durchfahren wir kurzen Tunnel. Alles ist dicht bewaldet. Hokkaido ist wirklich ein Bereich für Naturfans. Man sieht wilde Bäche und Flüsse, aber auch viele Felder und Bauerhöfe.
Gegen 13:00 erreiche ich Sapporo Station, wie der Hauptbahnhof von Sapporo heißt. Mein Hotel liegt allerdings etwas außerhalb der Stadt. Ich muss mit einem anderen Zug zur Station Shin-Sapporo. Überall auf den Bahngleisen steht kompetentes Personal, was mir sofort die notwendigen Auskünfte gibt. Auf dem Nebengleis fährt schon in ein paar Minuten der Zug ab. Die Japanischen Bahnen (Japan Railways, oder JR abgekürzt) sind ein Musterbeispiel für Pünktlichkeit. Bei allen Fahrten bisher hat der Zug nicht mal eine Minute Verspätung, egal ob es sich um einen lokalen Bummelzug oder einen Schnellzug handelte.
Im Zug erklärt mir ein hilfsbereiter Japaner, der wie fast alle hier gut Englisch kann, dass es bis zu meinem Hotel nur 100 Meter seien. Wunderbar denke ich, und beim Einfahren in die Station sehe ich schon den hohen Turm des Sheraton Sapporo, ein echter Geheimtipp unter den Hotels in Sapporo. Obwohl das Hotel ein 4 Sterne Hotel ist, kostet das Zimmer nur 7500 Yen (ungefähr 70 EUR). Es liegt wahrscheinlich an der Lage des Hotels. Aber mit der Bahn, die in 8 Minuten Mitten in Sapporo ist, ist das nicht wirklich ein Problem.
Die Rezeption ist überfreundlich. Ein Boy hilft mir mit dem Gepäck und bringt mich bis hoch ins Zimmer im 23. Stock. Er ist mehr als freundlich und zeigt mir in gebückter Haltung alle Annehmlichkeiten des Zimmers. Immer wieder verbeugt er sich vor mir und etwas schüchtern tue ich das auch.
Da die Zeit für eine Stadtbesichtigung schon fortgeschritten ist, mache ich mich sofort wieder auf den Weg zurück in die Innenstadt von Sapporo. Vorher muss ich allerdings noch die Reservierungstickets für meine Züge nach Tokio besorgen. Am Ticketschalter wartet schon wieder eine freundliche Japanerin darauf mir helfen zu dürfen. Sie führt mich wieder an einen bevorzugten Schalter und in Windeseile stellt die Dame am Schalter die benötigten Tickets aus. Die Reservierung ist für die Inhaber des Japan Rail Passes kostenlos. Sie kontrolliert alle Daten noch einmal gewissenhaft und übergibt mir die Scheine in einem kleinen Umschlag mit beiden Händen, so wie es hier überall üblich ist. Ja, es macht schon sehr viel Spaß die Serviceorientiertheit der Menschen hier erleben zu dürfen.
Im Reiseführer finde ich einige interessante Stellen, die ich im Schnelldurchgang aufsuchen muss. Auf dem Stadtplan versuche ich die Entfernungen abzuschätzen. Alles liegt doch ziemlich weiträumig und so beschließe ich die erste Station aus Zeitgründen mit dem Taxi anzufahren. Der Taxifahrer bringt mich zum Sapporo Biermuseum. Hier hat man um 1850 mit dem Bierbrauen angefangen. Das Wissen dazu stammte aus Deutschland. Der Gründer der Brauerei hat sein Wissen in Bayern erlernt. Der Museumsbesuch ist kostenlos. Leider wurde im Jahr 2005 entschieden, die Bierprobe nun nicht mehr frei sondern kostenpflichtig anzubieten. Aber egal, die 400 Yen sind es allemal wert.
Mit dem Bus fahre ich wieder zurück zum Bahnhof um von dort meinen Gang durch die Stadt zu starten. Erste Station ist der berühmte Uhrenturm, das Wahrzeichen der Stadt Sapporo. Er wurde bei einer Schule zur Erziehung der Kinder zur Pünktlichkeit erreichtet. Mein weg führt weiter zum Fernsehturm. Hier kann man hochfahren und so einen phantastischen Blick über die Stadt haben. Die Plattform befindet sich in 90 Meter Höhe. Der Rundumblick über die Stadt ist sehr spektakulär und man erkennt wie groß diese Stadt ist.
Draußen beginnt es bereits zu dämmern. Ich habe noch den berühmten Odoripark und das Susukino-Viertel auf meiner Liste. Um mich zu stärken mache ich einen kurzen Stopp im McDonalds. Hier findet man nur junge Japaner. Die meisten kommen wohl gerade aus der Schule, denn sie haben noch alle die Schuluniformen an.
Im Susukino-Viertel wimmelt es nur so von Menschen. Überall sind Geschäfte und Restaurant. Die Restaurant stellen ihre Speisen in Plastikmodellen in großen Schaufenstern aus. So braucht man nicht einmal lesen können. Die Preise sind wirklich gesalzen und man kann hier ohne Probleme 100 EUR pro Person für ein Abendessen ausgeben.
Langsam mache ich mich auf den Fußmarsch zurück zur Sapporo Station und schwimme im Meer der Pendler, die das gleiche Ziel haben.
Müde erreiche ich mein Hotel. Ich wasche noch schnell ein paar Hemden und Socken. Durch das viele Schwitzen braucht man doch viel frische Wäsche. Das Abendessen will ich eigentlich im Hotel einnehmen, aber als ich das europäische Buffet sehe, drehe ich um und wage den Ausgang in die unbekannte Restaurantwelt von Sapporo. Schräg gegenüber des Hotels macht eine japanische Frau lautstark Werbung für ihr Restaurant. Sie zeigt mir sogar die bebilderte Speisekarte. Alles sieht gut aus und ich vertraue ihr mal.
Das Personal im Restaurant überschlägt sich wieder fast vor Freundlichkeit. Ich werde zum Platz geleitet und schon soll ich bestellen. Aber ich muss mir erst einmal die Karte ganz genau anschauen. Dort sind auch ziemlich exotische Sachen drauf. Wie Schweineohren oder Schweinezunge. Ich bleibe bei Spießen aus Schweinefleisch und Hähnchen. Dazu Reis. Die Kellnerin macht mich noch darauf aufmerksam, dass die Spieße mit Wasabi, dem japanischen Meerrettich, sehr scharf seien. Aber ich sage ihr, dass das kein Problem ist. Dazu bekomme ich das Bier in eisgekühlten Gläsern. In wenigen Minuten ist das Essen da und alles schmeckt sehr gut. Die Wasabi-Spieße rauben mir zwar kurzfristig den Atem, aber schnell beruhig sich mein Gaumen wieder. Es ist eine sehr angenehme Schärfe.
Satt und zufrieden komme ich wieder zurück in mein Zimmer. Morgen früh werde ich mit dem ersten Zug um 06:32 zurück nach Sapporo fahren um von dort die 10 Stunden lange Zugfahrt nach Tokio anzutreten.
Japanische Badefreuden
Schnell frage ich mich nach dem Minibus nach Korsakov durch. Alle Busfahrer stehen noch auf einem Haufen und palavern. Aber als immer mehr Menschen an die Minibusse kommen, bequemen sie sich endlich die Wagentüren zu öffnen. Nun gibt es eine Diskussion bezüglich meines großen Rucksackes. Als ich ihm aber anzeige, dass ich gerne zwei Sitzplätze zu je 100 Rubel kaufe, entspannt sich die Lage wieder. Mein Rucksack hat jetzt einen eigenen Sitzplatz.
Der Himmel ist grau in grau und über der Landschaft liegt Nebel. Ich denke über die lange Reise durch Russland nach. Jetzt werde ich gleich dieses Riesenland verlassen. Aber ich freue mich auch auf Japan und meine Weiterreise nach Hause. Je näher wir zur Küste kommen umso mehr klar der Himmel auf. In Korsakov fährt der Fahrer die verschiedenen Haltestellen an und lässt die Leute auf Zuruf aussteigen. An der Endhaltestelle steige auch ich aus und nun zahlen sich meine Erkundungsgänge vom Montag aus. Zielsicher laufe ich zum Pier. Dort angekommen will mich die Sicherheitsbeamtin aber nicht zum Schiff durchlassen, was ich direkt vor mir an der Anlegestelle sehe. Sie schickt mich in das Nebengebäude. Natürlich! Hier wird die Passkontrolle und der Zoll abgewickelt. In der Baracke sitzt der Grenzbeamte und kontrolliert genau den Pass und als ich das Stempeln höre bin ich erleichtert. Es scheint alles OK zu sein. Nun wird meine Gepäck noch gescannt wie am Flughafen. Alles läuft schnell durch und ich muss nichts auspacken.
Nach mir kommt eine große Gruppe Japaner, die alle ein T-Shirt mit der Aufschrift “Sakhalin Project 2010″ tragen. Ich muss im Internet mal recherchieren, was die da gemacht haben. Wir warten in der ungemütlichen Wartehalle auf die Abfahrt des Busses zum Schiff. Nach einer Ansage, die ich nicht verstehe, werden wir nach draußen gebeten. Dort steht ein LKW, in den unser großes Gepäck verladen wird. Das Handgepäck dürfen wir behalten. Der Bus bringt uns zur Fähre und wir betreten zu Fuß die Fähre. Ich denke noch bei mir, dass wir ziemlich wenige Leute für so ein großes Schiff sind, und nun ist mir klar, warum die Fähre nur zweimal die Woche fährt. Die Nachfrage ist extrem gering. Auch gibt es keine Fahrzeuge, die auf das Schiff wollen.
In der Fähre fühle ich mich sofort nach Japan versetzt. Es gibt keine Tische und Stühle. Wir bekommen jeder ein Lunch-Paket. Die Japaner machen sich sofort an den “Betten-Bau” in den flachen Schlafbereichen. Auch ich nehme mir eine bereit liegende Decke und mache es mir auf dem Fußboden gemütlich. Das Frühstück kommt gerade recht und es schmeckt ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber gut.
Die Fähre verlässt den Hafen und ich nehme in Gedanken Abschied von Russland. Ich hatte eine wirklich schöne Zeit hier!
Draußen auf der See sind die Wellen ziemlich hoch. An Deck pfeift auch der Wind extrem. Das Schiff schwankt zwar etwas, aber es ist bei Weitem nicht schlimm. Auch wird keiner der Passagiere seekrank.
Nach gut 5 Stunden sehe ich bereits die japanische Insel Hokkaido. Dort werde ich in der nördlichsten Stadt Wakkanai an Land gehen. Die Fähre fährt ziemlich schnell in den Hafen ein und das Anlegemanöver ist sehr effizient. Schon beim Betreten des Hafenterminals sehe ich, dass ich nun wirklich in einem ganz anderen Land bin. Alles ist hell und modern. Die Zöllner sind extrem freundlich und reden mit ihren “Kunden”.
Bei der Passkontrolle wird ein Foto gemacht und die Fingerabdrücke gescannt. Danach sehe ich schon meinen großen Rucksack vor dem Zoll stehen. Die Zöllner kontrollieren das Gepäck sehr genau. Auch ich muss meinen Rucksack komplett ausräumen und der freundliche Herr schaut in jeden Beutel und jedes kleine Täschchen. Selbst vor meiner dreckigen Wäsche hat er keinen Ekel und durchsucht alles penibelst. Danach bedankt er sich bei mir für meine Kooperation und hilft mir beim Einpacken. Selbst den Weg zum Hotel erklärt er mir genau. Da Wakkanai nur ein kleines Nest ist, entschließe ich mich zu Laufen. Schon bald taucht vor mir die Bahnstation auf und kurz dahinter ist auch mein Hotel.
Im Hotel findet man meine Reservierung nicht. Aber ich habe die Online-Bestätigung auf meinem Blackberry und kann sie dem Hotelmanager zeigen. Der notiert sich schnell die Daten und heißt mich herzlich willkommen. Als er sieht, dass ich vom Tragen des Rucksacks schwitze, bringt er mir sofort ein eiskaltes Tuch, was mich herrlich erfrischt. Dann erklärt er mir noch die Annehmlichkeiten des Hotels. Wakkanai hat wegen der Vulkantätigkeiten im Norden auch heiße Quellen. Das Hotel hat ein japanisches Bad, das von diese heißen Quellen gespeist wird.
Ein erster “Stadtrundgang” fällt nüchtern aus. Hier ist nur eine kleine “Einkaufsstraße”, die aber nicht wirklich was zu bieten hat. Ich muss aber hier eine Nacht aushalten, weil ich den Gutschein für den Japan Rail Pass zu Büroöffnungszeiten eintauschen muss. In Wakkanai gibt es aber kein Büro zum Eintauschen und so muss ich das in der nächsten größeren Stadt erledigen. Dies ist Asahikawa, wo ich am nächsten Tag hinfahren werde.
Aber nun muss ich erst einmal japanisches Geld organisieren. Wakkanai hat die Post und zwei Banken, wo ich das erledigen kann. Die Banken schließen aber schon um 15:00 Uhr. Also gehe ich auf die Post. Ich habe noch US Dollar aus der Mongolei übrig, die ich jetzt in Jen tauschen möchte. Ich werde von einer netten Dame an einen Schalter begleitet. In Japan steht in jedem größeren Wartebereich vor den Schaltern immer eine nette Dame, die den Kunden hilft, den richtigen Schalter zu finden oder auch schnell kleine Auskünfte gibt. Der ältere Herr hinter dem Schalter empfängt meine 10 und 20 Dollarscheine. Die zählt er mindestens dreimal hintereinander. Ich muss auch ein Formular ausfüllen und meine Passdaten angeben. Danach holt er eine alte Geldprüfmaschine und lässt die Scheine durchlaufen. Die 20er werden akzeptiert, die 10er zurück gewiesen. Ich werde langsam nervös. Aber er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und holt ein dickes Buch und schlägt die Seite mit den Dollars auf. Dort vergleicht er die Merkmale, die dort beschrieben sind, mit meinen Scheinen. Es scheint nicht zu passen. Dann kramt er noch ein großes Poster hervor und nun scheint es besser zu stimmen. Er vergleicht und schaut, dann konsultiert er einen Kollegen, auch der prüft alles noch einmal ganz korrekt. Endlich bekomme ich die Yen ausgehändigt und wundere mich über den schlechten Kurs. Der Yen ist im Moment ungewöhnlich stark und ich habe einfach eine schlechte Zeit erwischt. Aber ich bin ja nur 4 Tage in Japan und da spielt das auch keine große Rolle.
Die Stadt ist schnell erkundet, aber ich muss ja noch meine Fahrkarte nach Asahikawa kaufen. Der Schalterbeamte ist auch wieder extrem freundlich und serviceorientiert.
Ich gehe zurück ins Hotel und beschließe mal das japanische Bad zu besuchen. Es ist getrennt nach Männern und Frauen. Die Tür zu dem Frauenbad ist durch einen PIN-Code geschützt, was mein Glück ist. In der Hotelinformation steht, dass man das Bad in dem im Zimmer bereit liegenden japanischen Anzug, der Yukata genannt wird, betreten soll. Ich ziehe das Ding an, aber Japaner scheinen etwas kleiner und dünner zu sein. Im 10. Stock suche ich den Eingang zum Bad. Überall nur japanische Schriftzeichen. Aber auf einmal sehe ich das Eingabefeld für den PIN-Code. Dies ist dann die falsche Türe und schon finde ich den Männereingang.
Drinnen sind schon viele Japaner. Ich schaue mich erst einmal in Ruhe um und beobachte die Prozeduren. Zuerst steht eine gründlich Reinigung an. Ich hatte zwar vorher schon auf dem Zimmer geduscht, aber die Reinigungszeremonie ist hier Pflicht. Dazu sitzt man in einer kleinen offenen Kabine auf einem kleinen Hocker. Vor einem stehen 5 verschieden Shampoo- und Seifenflaschen. Man seift sich mit viel Seife richtig ein und duscht sich ab. Danach darf man in das Becken mit den heißen Quellen. Das Handtuch wird mangels Ablage zusammengefaltet auf dem Kopf getragen. Das Wasser ist ziemlich heiß, fast zu heiß für mich. Aber es entspannt herrlich und tut sehr gut.
Schon nach ein paar Minuten muss ich raus. Ich gehe raus auf die Dachterrasse, wo auch die Japaner den Körper abkühlen. Sie haben in dem Bad auch eine Saunakabine, aber die ist mir zu voll. Das Bad hat die ganze Nacht offen, nur die Sauna wird nach Mitternacht abgestellt. Ich mache noch 2-3 Badegänge und fühle mich so sauber wie schon lange nicht mehr. Herrlich entspannt gehe ich zurück in mein Zimmer und ruhe mich noch ein wenig aus.
Der Hunger treibt mich wieder in die Stadt. Das Restaurant im Hotel macht nur Frühstück und Mittagessen. Also suche ich ein Restaurant. Schon nach 200 Metern entdecke ich ein Restaurant, was eine bebilderte Speisekarte hat und in dem ich auch die beiden Russen entdecke, die ich Morgens auf dem Schiff gesehen habe. Sie sind bestimmt ortskundig und hier kann ich reingehen. Die Kellner geben sich unendlich Mühe, den Gast in allen Belangen zufrieden zu stellen. Ich deute auf eine frittierte Speise und frage noch, ob es Fleisch oder Fisch ist. Ich bestelle Fleisch. Schon kurze Zeit später kommt mein Essen und es schmeckt wirklich gut. Ich muss nur wieder das Essen mit den Stäbchen üben. Aber langsam klappt das und ich bekomme sogar den Reis damit in den Mund.
Da ich morgen früh den Zug um 07:10 nehme, gehe ich früh ins Bett und schlafe sofort ein.
Warten auf die Fähre
Ich recherchiere im Internet die weiteren Stationen meiner Reise. Bisher hatte ich mich touristisch nur auf Russland vorbereitet. Um die ganzen Informationen zu Japan hatte ich mich bisher gar nicht gekümmert. Nun muss ich Zugpläne finden, überlegen, wo und wie ich dort übernachte etc. Aber Dank Google ist das heute alles kein Problem und so werde ich schnell fündig. Ich dachte gar nicht, dass ich noch so lange Strecken in Japan mit der Bahn fahren muss. Aber zum Glück habe ich ja den Japan Rail Pass, mit dem ich zum Pauschalpreis alle Züge in Japan benutzen kann.
Polina hat mir den Tipp gegeben, doch mal das Heimatmuseum anzuschauen. Es ist in einem ehemaligen japanischen Verwaltungsgebäude untergebracht. Draußen scheint die Sonne und es ist für die Gegend hier ungewöhnlich warm. Das Wandern durch die Sonne bringt mich schon wieder schnell zum Schwitzen und über die Mittagszeit sind die Schatten wirklich rar. Aber dank der guten Wegbeschreibung finde ich schnell das Museum. Es ist sehr beschaulich aber hoch interessant. Sachalin hat eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich. Mal besetzten die Japaner die Insel und benutzten sie als Strafgefangenen-Kolonie für koreanische Gefangene, mal teilten sich Russland und Japan die Verwaltung. Die Grenze war damals der 50. Breitengrad, der die Insel in einen Nord- und Südteil trennte. Seit 1945 haben die Russen die Insel komplett erobert und zu ihrem Territorium erklärt.
Das Museum zeigt auch viele Details zur großartigen Natur der Insel, Fauna und Flora sind sehr beeindruckend dargestellt, incl. zwei ausgestopfter Bären in Lebensgröße. Denen möchte ich in der Natur nicht begegnen.
Ich laufe noch ein wenig in der Gegend rum und entdecke einen Außenpark für stillgelegte Kriegsmaschinerie, Flugzeuge, Panzer und Geschütze. Wahrscheinlich gehört der Teil auch zu dem Heimatmuseum.
Danach mache ich mich zu Fuß wieder in die Innenstadt rund um den Hauptbahnhof und beobachte das Treiben in der Stadt. Überall laufen die Frauen noch in ihren hochhackigen Schuhen rum, genauso wie in Moskau, obwohl wir hier fast 12000 km von Moskau entfernt sind.
Zurück in der Wohnung ruhe ich mich erst einmal ein wenig aus. Polina muss heute lange arbeiten und wird erst gegen 19:00 wieder von der Arbeit zurück kommen. Danach wollen wir Essen gehen. Sie erscheint pünktlich und wir machen uns sofort auf den Weg. Unterwegs treffen wir noch ihren Kollegen, der auch gerade von dem nahe gelegenen Büro nach Hause geht. Dort warten noch zwei Franzosen auf ihn, die ihn auch über Couchsurfing gefunden haben. Die Franzosen sind auf dem Weg von Japan nach Moskau, also auf dem genau entgegen gesetzten Weg wie ich. Das verspricht interessant zu werden. Auf dem Weg zum Restaurant zeigt mir Polina noch ihr Bürogebäude. Es ist das schöne Office-Gebäude, von dem ich dachte, es sei ein russisches Verwaltungsgebäude.
Wir gehen in ein kanadisches Restaurant. Es hat aber eine normale Speisekarte und auch russisches Personal. Der Abend ist extrem spannend. Jeder erzählt von seinen Erlebnissen in der fernen Welt. Und alle sind bereits sehr weit rumgekommen in ihrem Leben. Auch die Freundschaft unter den Nationen ist sehr schön zu erleben.
Müde und glücklich gehen wir den kurzen Weg zur Wohnung. Ich muss jetzt noch alles packen, denn morgen früh um 06:00 muss ich mich auf den Weg zur Fähre machen.
Ausflug nach Korsakov
Da Polina, meine Gastgeberin hier auf Sachalin, noch den ganzen Tag arbeiten muss, lasse ich mir Zeit. In aller Ruhe gehe ich Frühstücken in dem schicken italienischen Restaurant des Hotels. Danach packe ich in Ruhe meine Sachen und verstaue sie im Gepäckraum des Hotels. Hier können sie den Tag über bleiben und ich kann unbeschwert meine Ausflüge machen.
Erst einmal steht der Ticketkauf für die Fähre nach Japan auf dem Programm. Das Ticket hatte ich schon per Internet vorbestellt, nun muss ich mir aber noch den Original “Boarding Pass” im Reisebüro Bitomo abholen. Dank meiner Recherche von gestern finde ich das Büro auch schnell wieder und eine kleine freundliche Japanerin stellt mir das Ticket aus. Ich erhalte dabei auch einen Umschlag mit einem Bild der Fähre, ein unschlagbarer Vorteil, wie sich später herausstellen wird. Ich frage die Kleine noch nach der Straße der Wohnung meiner Gastgeberin. Sie druckt mir schnell einen Ausschnitt des Stadtplans aus. Allerdings findet sie nicht die angegebene Hausnummer 14. Nach dem Stadtplan existiert das Gebäude mit der Nr. 14 gar nicht. Da sich die Straße ganz in der Nähe befindet, beschließe ich jetzt unbelastet ohne Gepäck die Adresse zu suchen. Ich laufe den langen Prospect Mira entlang und sehe bald schon einige Hochhäuser, die als Adresse in Frage kommen können. Erst verlaufe ich mich und lande bei Hausnummer 24, dann war es aber eine Sache von Minuten und ich stehe vor dem Haus mit der Nr. 14. Es existiert also doch und ist ein recht modernes neues Hochhaus. Das lässt auf eine schöne Wohnung hoffen.
Paulina will ab 18:30 in der Wohnung sein und ich habe jetzt noch 6 Stunden Zeit. Da am Mittwochmorgen die Fähre von Korsakov schon sehr früh abfahren wird, beschließe ich einen kurzen Erkundungstrip nach Korsakov. Auch dies stellt sich später als sehr angebracht heraus. Für 100 Rubel (2,50 EUR) fahre ich in einem japanischen Minibus nach Korsakov. Schnell verlassen wir die Stadt und dann geht es über Hügelketten zum südlichen Hafen der Insel Sachalin. Dieser Industriehafen wird zweimal in der Woche von einer Fähre nach Japan bedient, die mich dann nach Wakkanai bringen soll. Unterwegs werden wir von einem Audi Q5 überholt. Das ist wirklich ein besonderes Ereignis, denn hier sieht man ausschließlich japanische Autos. Deutsche Autos existieren hier nicht. Schon bald taucht der Pazifik wieder am Horizont auf und schon bald danach erreichen wir das kleine Städtchen Korsakov. Es ist wirklich nicht sehr malerisch hier, es ist eher von dem grau-in-grau der Industrieanlagen geprägt. Nach mehreren Stopps in der Stadt erreichen wir den Endpunkt des Minibusses und nun muss auch ich aussteigen. Hier befindet sich ein kleiner lokaler Markt, wo russische Frauen ihr Gemüse verkaufen. Ich sehe zwar Hafenanlagen, aber von einem Schild zu meiner Fähre ist weit und breit nichts zu erkennen. Ich laufe in die einzelnen Höfe rein und schaue mich verzweifelt um. Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, dass hier eine Fähre nach Japan abfahren wird. Gut, dass mir das nicht am Mittwochmorgen passiert, ich hätte bestimmt Panik bekommen. Ich gehe zu einem bewachten Firmentor und frage die Wachfrau. Gott-sei-Dank habe ich das Foto der Fähre dabei. Sie schüttelt nur den Kopf, aber dann kommt ein Mann zur Hilfe. Er kennt die Fähre und schickt mich eine Straße entlang. Ich frage, ob es wohl 100 Meter seien und er antwortet, dass es wohl so 200 Meter seien. Soviel russisch kann ich nun schon. Ich laufe die 200 Meter an einer grauen Betonmauer entlang und komme dann zu einer Einfahrt. Einige LKW stehen davor und warten. Ich schaue mich wieder nach eine Schild um, nichts, rein gar nichts. Zwei Bauarbeiter in orangen Westen sprechen mich an. Auch denen zeige ich das Bild der Fähre und einer der Männer nickt mit dem Kopf und schickt mich zu einem kleinen Häuschen. Hier zeige ich wieder das Bild aber die Frau schaut mich etwas ungläubig an. Sie sagt, dass die Fähre hier abfährt aber ich meine zu erkennen, dass sie wegen des Datum verwirrt ist. Die Fähre fährt ja erst in 2 Tagen ab.
Ich bin erleichtert das Abfahrtsterminal gefunden zu haben. Nun laufe ich noch etwas durch Korsakov und lande im Café “Pinguin”. Das war sogar im Internet als gut empfohlen worden. Ich bestelle ein Bier und bekomme auch die Menükarte, die ich lange studiere. Alles nur russisch. Ich entdecke einen Krabbensalat mit Mayonnaise. Erst habe ich gewisse hygienische Bedenken, aber hier an der See kommt der Fisch ja täglich frisch, so hoffe ich.
Der Salat kommt und sieht sogar ganz ansprechend aus. Dazu ordere ich sogar noch ein Stück Brot nach. Das Mahl schmeckt vorzüglich und ich denke, manchmal muss man auch mal ein kleines Risiko eingehen.
Langsam wird es Zeit für die Rückfahrt. Die Minibusse stehen schon bereit und fahren ab, sobald genügend Passagiere im Auto vorhanden sind. Als letzter Passagier darf ich sogar auf dem Vordersitz Platz nehmen. Der Fahrer unterhält sich nett mit mir. Er hat eine Schwester, die in Frankfurt wohnt. Unterwegs mache ich ein paar Fotos und der Fahrer verlangsamt wegen mir seine Fahrt, damit ich für die Schnappschüsse genügend Zeit habe. Unterwegs sehen wir noch mitten auf der Straße einen umgestürzten Lastwagen, der nun mühsam mit einem Schaufelbagger entladen werden muss. Am Hauptbahnhof verabschiedet sich der Fahrer herzlich von mir.
Mit dem Bus 63 fahre ich zurück ins Hotel um meine Sachen zu holen. Es ist mittlerweile unendlich schwül geworden. Schnell schnalle ich meinen Rucksack um und fahre mit dem gleichen Bus wieder zurück in die Stadt. Die Schaffnerin will diesmal den doppelten Fahrpreis haben, weil ich einen so großen Rucksack dabei habe. Als ich aus dem Bus steige bekomme ich eine SMS von Polina. Sie fragt mich, wann ich denn ankomme. Ich antworte ihr schnell und sie kommt gleich runter vor das Haus und begrüßt mich herzlich. Sie ist extra von der Arbeit heimgekommen und muss auch gleich wieder weg zurück zur Arbeit, da sie noch ein wichtiges Meeting hat. Sie kocht mir noch einen Tee und nach 10 Minuten ist sie wieder verschwunden.
Nach 2 Stunden kehrt sie geschafft zurück. Zum Abendessen macht sie einen herrlichen Meeresfrüchtesalat mit Gemüse und Reis. Alles schmeckt sehr gut und wir unterhalten uns über ihre interessante Arbeit. Sie ist Korrosionsexpertin und bei einer Ölfirma (Exxon) angestellt. Sie untersucht die Ursachen und Vermeidung von Korrosionen in Pipelines und fliegt auch sehr oft auf die Ölplattformen draußen im Meer. Eigentlich will sie ja nicht auf Sachalin wohnen, weil das Wetter hier immer so schlecht ist, aber der Job ist wohl so gut bezahlt, dass sie erst mal ein paar Jahre bleiben will. Auch interessiert sie sich sehr für Deutschland, von Wirtschaft über Politik bis zu den Familienverhältnissen.
Wir haben einen schönen Abend. Sie überlässt mir ein Zimmer mit einem großen Bett. Sie selbst schläft auf der Couch im Wohnzimmer. Was für eine Gastfreundschaft, die ich hier zu meinem Abschluss in Russland erfahre. Um 22:00 will sie schlafen gehen, weil sie morgen früh raus muss. Ich verabschiede mich von ihr und ziehe mich in mein Zimmer zurück.
Überfahrt nach Sachalin
Pünktlich erreichen wir den Bahnhof. Da ich ein Abteil ziemlich weit hinten im Wagon hatte, steige ich ziemlich als Letzter aus dem Wagen aus. Alles stürmt ins Bahnhofsgebäude und auch ich hinterher. Ich suche das beschriebene Kassenhäuschen, was ich nicht sofort entdecke. Ich gehe in eine Nebenhalle und dort ist wirklich ein Kassenschalter. Schon nach kurzer Wartezeit bin ich an der Reihe. Die Dame macht mir schnell klar, dass es hier nur Bahnfahrkarten gibt und sagt mir auf Russisch irgendetwas. Ich schaue wohl ziemlich verdutzt drein. Sie schließt ihren Schalter vor der wartenden Menge, kommt raus und nimmt mich an die Hand und führt mich zum richtigen Schalter in der Haupthalle. Den hatte ich im Eifer direkt übersehen. Er befindet sich ziemlich versteckt in der linken Ecke der Halle und vor dem Schalter knäult sich die Menschenmenge. Ich denke, das kann ja lustig werden und in Gedanken richte ich mich einen schönen Tag in der Bahnhofshalle ein. Doch überraschend schnell wird von der jungen Dame am Schalter die Schlange abgearbeitet. Als noch 5 Männer jeweils mit einem dicken Packen Pässe für andere Personen von mir stehen, drängt sich eine resolute Frau vor und redet die protestierenden Männer an die Wand. Vor mir steht ein junger Mann, den ich wohl auch genervt anschaue. Er erklärt mir in gebrochenem Englisch, dass die Frau reservierte Tickets hat und deswegen Vortritt hat. Als ich ihm erkläre, dass auch ich ein reserviertes Ticket habe, lässt er mich vor und erklärt sogar den anderen Männern auf Russisch, warum ich vor darf.
Schnell erhalte ich mein Ticket und bekomme dazu sogar eine Kabine der “Ljuks” (Deluxe) Kategorie für mich alleine. Und dafür bezahle ich samt 20 Stunden Überfahrt gerade mal 1900 Rubel (ca. 50 EUR).
Der junge Mann aus der Schlange kommt auch, nachdem er sein Ticket erhalten hat, in die Wartehalle und setzt sich zu mir. Er ist auf dem Weg zu seiner Freundin, die auf der Insel Sachalin lebt. Er will jetzt auch erst mal dort bleiben und will einen Job bei einer der Ölfirmen suchen. Ich habe immer wirklich Glück so nette Menschen hier zu treffen. Die Durchsage, die wir aus den Lautsprechern hören, verursacht Hektik in der Halle. Alle stehen auf und packen ihre Sachen. Sergej, so heißt der Mann aus Moskau, erklärt mir, dass in Kürze der Bus zur Fähre kommen wird. Er hilft mir sogar mit meinem schweren Rucksack. Auf dem Bahnhofsvorplatz warten wir dann im Schatten auf die Ankunft des Busses. Es ist schon wieder ziemlich warm und ich schwitze bereits. Nach wenigen Minuten fährt der Bus vor und Unmengen von Leuten mit noch mehr Taschen quellen aus dem Bus als die Türen sich öffnen. Als alle ausgestiegen sind, geht der Kampf um die besten Plätze im Bus richtig los. Ziemlich ungeniert wird hier geschubst und geschoben was das Zeug hält. Ich erreiche auch gesund den Bus und die Fahrt geht sofort los zum nahe gelegenen Hafen. Man konnte ihn schon aus dem Zug von der Bahnstrecke aus sehen. Nach wenigen Minuten erreichen wir die Fähre, die sicherlich schon bessere Tage gesehen hat. Sicherheitsbedenken habe ich heute nicht, denn das Meer ist ziemlich glatt und das Wetter soll auch so bleiben. Wir betreten eine alte, schäbige Halle. Von hier wird eine Treppe zu einer Öffnung der Fähre herunter gelassen. Das Personal der Fähre kontrolliert noch die Fahrkarten und teilt Gutscheine für das Mittagessen aus. Passkontrollen werden nicht mehr vorgenommen. Im Internet hatte ich gelesen, dass es für ausländische Reisende nach Sachalin besonders strenge Passkontrollen geben soll, aber nichts dergleichen.
Im Schiff weist mir das Personal den Weg. Aber wieder so schnell, dass ich auf Russisch nicht folgen kann. Aber die Damen haben dann doch Mitleid mit mir und gehen voran auf dem Weg zu meiner Kajüte. Die Kabine ist einfach und zweckmäßig eingerichtet und überraschend sauber. Ich ruhe mich ein paar Minuten aus und besichtige dann das Schiff. Es ist ziemlich klein im Vergleich zu den Fähren, die ich von den Überfahrten nach Korsika kenne. Alles ist sehr übersichtlich und es gibt ein Restaurant. Mit der Kamera streife ich über das Oberdeck und schieße schon mal ein paar schöne Bilder. Schon bald setzt sich die Fähre in Bewegung und ich genieße die Aussichten von Deck auf das offene Meer. Ja, ich bin wirklich im Pazifik angekommen.
Im Restaurant treffe ich Sergej wieder und lade ihn gleich auf ein Bier ein. Er organisiert solange mit den Gutscheinen unser Mittagessen. Es ist eine koreanische Fertigmahlzeit, die nur mit heißem Wasser übergossen werden muss. Dazu zwei kleine Stückchen Toastbrot und ein kleiner Joghurt. Sergej meint, dass dies bei weitem nicht genug sei und geht erst mal in seine Kabine und holt den ganzen Sack mit Lebensmitteln ins Restaurant. Er packt Brot und Speck aus, Kekse und Kuchen der verschiedensten Sorten. Dazu ein großes Schweizer Taschenmesser. Gleich fängt er an und macht mir ein großes “Butterbrot” mit Speck. Wir unterhalten uns sehr gut und sein Englisch wird immer besser. Manchmal reden wir mit Händen und Füssen und die Verständigung klappt super.
Nach dem Mittagessen ziehe ich mich in meine Kabine zurück und mache ein kleines Nickerchen. Die Fähre wird bis morgen früh auf dem Meer unterwegs sein, also genug Zeit zum Ausruhen. Gegen 18:00 gehe ich nochmal raus und suche mir ein windgeschütztes Plätzchen aus. Hier ist ein beliebter Treffpunkt für viele Raucher. Auch Sergej kommt wieder und wir unterhalten uns weiter. Das Schiff gleitet fast lautlos über das Meer und ich bleibe solange draußen sitzen bis die Sonne glutrot im Meer versinkt.
Ich verabschiede mich von Sergej und gehe zurück in meine Kabine. Dort habe ich genügend Zeit die Berichte der letzten Tage zu schreiben. Es gibt sogar genügend Steckdosen um meine ganzen elektrischen Geräte aufzuladen.
Ich werde heute Nacht nicht viel Schlafen können. Unsere Ankunftszeit soll morgen früh um 04:00 Uhr sein. Danach muss ich irgendwie in die Hauptstadt der Insel kommen. Dort werde ich die erste Nacht in einem Hotel verbringen, damit ich eine ordentliche Registrierung bei den Behörden für die Insel Sachalin habe. Dann werde ich keine Probleme bei der Ausreise haben. Eine weitere Nacht werde ich bei einer privaten Gastgeberin verbringen, die ich auch wieder über Couchsurfing gefunden habe.
Auf dem Weg zum Pazifik
Gegen 06:20 stehe ich auf. Draußen ist es noch sehr dunkel aber das erste Dämmern ist zu erkennen. Tatiana hat für mich um 07:00 ein Taxi zum Bahnhof bestellt und will mit in die Stadt kommen. Schnell packe ich meine Sachen und bin pünktlich fertig. Nur Tatiana muss sich noch schminken, die Katze füttern und will auch noch um 5 nach sieben für mich Tee kochen. Aber dann kommt der rettende Anruf des Taxifahrers und wir müssen runter.
Der Taxifahrer zeigt uns seine “Michael-Schuhmacher-Qualitäten”. Er heizt durch die Stadt, als muss er ein Formel-1 Rennen gewinnen. So sind wir schon um 20 nach sieben am Bahnhof. Ich will mich gerade von Tatiana verabschieden, aber sie lässt es sich nicht nehmen, mich bis in den Zug zu begleiten. Uns kommen auf der engen Treppe viele schwer bepackte Reisende entgegen und ich habe meine Last, meinen Weg zu verteidigen. Wir müssen zum Bahnsteig 4, was ein ziemlich langer Weg über die hohen Passagierbrücken bedeutet. Mein Zug steht bereits am Gleis, er hat hier mehr als eine Stunde Aufenthalt. Von hier kommen die großen Menschenmassen, die mir auf der Treppe begegnet sind. Der Zug ist deutlich älter und dreckiger als die Züge zuvor. Er hat die Nummer 351. Man hatte mir ja gesagt, dass der Komfort mit höher werdenden Zugnummern deutlich nachlässt. Schnell finde ich meinen Wagon und auch an der Schaffnerin hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Die oberste Gebissreihe ist weitgehend in Gold, aber für den Schneidezahn in der Mitte hat das Budget wohl nicht mehr ausgereicht. Aber freundlich kontrolliert sie mein Ticket und meinen Pass und ich kann einsteigen. Tatiana begleitet mich bis ins Abteil um mir mit dem Gepäck zu helfen. Ich habe diesmal mehr Glück als beim letzten Zug. Unten liegt eine schlafenden Frau und oben zwei schlafende junge Männer. Das verspricht mehr Ruhe. Die Einrichtung des Abteils stammt größtenteils aus dem VEB “Plaste und Elaste” und ist wohl in der DDR gebaut worden. Überall sieht man Schilder in deutscher und russischer Sprache. Leider ist es jetzt schon sehr warm und stickig. Und so gehe ich mit Tatiana zurück in die frische Morgenluft. Wir haben bis zur Abfahrt noch knapp eine Stunde Zeit. Wir reden noch ein wenig und dann muss Tatiana los zu ihrer Tanzschule. Sie verabschiedet mich herzlich mit Küsschen links und rechts, wie man es in Russland so macht. Schon bald ist Tatiana im Menschengewühl des Bahnsteiges verschwunden und ich mache noch ein paar Fotos vom sehr schönen Bahnhofsgebäude. Leider traue ich mich nicht mehr zurück auf den Bahnhofsvorplatz.
Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung und schon bald kommt das gewohnte Bild. Bäume, Bäume, Bäume. Ich döse auf meinem Bett und die anderen schnarchen. Gegen 11:00 kommt das schon bekannte “Frühstück”. Es hat die gleiche Qualität wie in den Komfortzügen. Mit der steigenden Sonnen steigt auch die Temperatur im Abteil in unangenehme Höhen. Ich beschließe es den Russen gleich zu tun und ziehe mein Hemd aus. Es ist zwar immer noch heiß, aber nun besser zu ertragen. Immer wieder gehe ich mal auf den Flur. Hier sind einige Zugfenster geöffnet und so sind die Temperaturen wesentlich angenehmer. Der Zug hält an jeder “Milchkanne”. Jeder Bahnhof an der Strecke wird angefahren. Insgesamt habe ich 80 Stopps an der Strecke bis nach Vanino. Auf der Zugtafel entnehme ich, dass die Strecke von Khabarovsk bis nach Vanino am Pazifik 855 km lang ist. Alles ist auf den km genau festgehalten.
Im Nachbarwagen ist das Restaurant untergebracht. Die Restaurantwagen werden an den Bahnhöfen durch eine große offene Tür mit neuen Lebensmitteln versorgt. Und diese Türe ist meistens während der Fahrt nur durch ein Gitter gesichert und sonst offen. Ich nutze die Gelegenheit und mache noch schnell ein paar Fotos vom Zug in der Kurve, bevor ich ein weiteres gutes russisches Menü genieße. Zu meinem Erstaunen ist Menükarte auch auf Englisch verfügbar. Das Personal ist wie immer sehr freundlich und bemüht. Von der Trägheit des Sozialismus ist hier nichts mehr zu spüren. Satt und glücklich krieche ich in meine Koje und stelle mir noch den Wecker für morgen früh. Mein Zug wird um 10:17 in Vanino ankommen.
Ein Tag in Khabarovsk
Tatiana ist heute Morgen schon sehr früh aufgestanden um in der Stadt eine Tanzstunde zu geben. Ihre Kunden nutzen die Zeit schon vor der Arbeit. Danach will sie einen weiteren Gast aus Irland am Bahnhof abholen. Ich kann also in Ruhe ausschlafen. Schon bald höre ich die Beiden an der Türe. Tatiana macht erst mal Frühstück für uns beide in der traditionellen russischen Art. Danach muss sie kurz ein paar Dinge in der Wohnung ihrer Eltern erledigen. Später sagt sie mir, dass sie dort den Internet-Anschluss nutzt, weil sie sonst in ihrer Wohnung selbst dafür zahlen muss.
Um 12:00 beschließen wir einen Stadtrundgang zu machen. Wir fahren mit dem nächsten Bus in die Stadt. Sofort fällt mir auf, dass die Stadt insgesamt sehr grün ist. Überall sind für eine russische Großstadt ungewöhnlich viele Bäume im Stadtbild zu sehen. Außerdem ist die Stadt sehr hügelig. Das macht viele Blicke äußerst interessant. Wir steigen an der Universität aus. Tatiana erzählt, dass sie mal Eisenbahn-Vermessung studiert hat. Khabarovsk hat eine spezielle Universität für dieses Fach. Sie hat das studiert, weil ihre Eltern das so wollten. Aber nun fühlt sie sich in der Selbständigkeit als Tanzlehrerin viel glücklicher und kann auch viel mehr Geld verdienen.
Tatiana legt ein gutes Tempo vor und ich kann ihr bei dem heißen Wetter nur schwer folgen. Dabei gerate ich richtig ins Schwitzen. Aber immer wieder macht sie mal eine Pause und erklärt uns die Sehenswürdigkeiten. Auf dem Weg sehe ich eine Bank. Da ich noch Bargeld für die Fährtickets brauche gehe ich an den Geldautomat. Der sagt aber, dass meine Karte nicht mehr lesbar ist. Ich bekomme schon einen Schrecken, aber Tatiana meint, dass dies schon manchmal vorkommt. Ich soll einfach eine andere Bank probieren. Ein paar Meter weiter ist die Raiffeisen-Bank. Dort kann ich sogar den Automaten auf Deutsch bedienen und mein Geld kommt ohne Probleme aus dem Schlitz.
Bald darauf erreichen wir das malerische Ufer des Amur. Die Promenade ist perfekt ausgebaut und sicherlich noch sehr neu. Irgendwie hat man überhaupt den Eindruck, dass diese Stadt viel Geld in der letzten Zeit investiert hat. Alle öffentlichen Gebäude sind in einem guten Zustand, überall sieht man Handwerker arbeiten. Auf der Promenade kommen wir zu einem richtigen Strandabschnitt. Die Leute liegen in der Sonne, nur wenige trauen sich ins Wasser. Tatiana erzählt uns, dass man hier besser nicht baden sollte, weil der Fluss an dieser Stelle sehr verschmutzt ist. Die Grenze zu China ist nur ca. 10 km entfernt und es würde dort viel Abwasser in den Fluss eingeleitet. Schade um den schönen Fluss, aber ich denke, hier werden auch bald erste Naturschutzaktivitäten zu beobachten sein.
Hoch über der Strandpromenade erhebt sich ein Gebäude des Stadtgründers der Stadt Khabarovsk. Wir steigen den steilen Hügel hinauf und schnaufend erreichen wir das herrliche Gebäude. Davor steht die Statue des Stadtgründers. Natürlich wird auch dieser schöne Park von Brautpaaren für die Hochzeitsfotos genutzt. In dem Gebäude ist ein Restaurant untergebracht und dies soll ein echter Geheimtipp sein. Nirgends findet man außen einen Hinweis auf das Restaurant. Wir gehen durch das Gebäude auf die schönste Aussichtsterrasse, die ich kenne. Hier ist absolut niemand und man hat den herrlichsten Blick über den Amur und die Stadt. Die Preise sind absolut günstig und ich bin mir sicher, dass der Restaurantbetreiber noch nicht erkannt hat, welch Juwel er da eigentlich hat. Wir bestellen nur etwas zu trinken und ein Brautpaar kommt auf die Terrasse und macht mit einer Profi-Fotografin Hochzeitsfotos mit wehendem Schleier. Die Fotografin gibt unablässig Kommandos an das Brautpaar und die folgen meistens nur unwillig.
Unser Weg führt uns nun zur neu erbauten Kirche am Komsomolplatz. Mit ihren herrlich blauen Dächern gibt sie ein gutes Motiv für meine Fotoserie. Weiter gehen wir entlang der Hauptgeschäftsstraße. Die Bürgersteige sind nagelneu, überall sind schöne Blumenbeete und die Geschäfte verkaufen noble Sachen. Irgendwie ist das noch ein Missverhältnis zwischen den Preisen und den Einkommen der Bevölkerung. Langsam bekommen wir Hunger und Tatiana führt uns in ein typische russische Schnellrestaurant. Es bietet russische Spezialitäten zu sehr günstigen Preisen und das bei guter Qualität an. Ich trinke hier auch ein Getränk, das aus Brot hergestellt wird. Schmeckt sehr interessant, aber mein Favorit wird das wohl nicht werden.
Der Aufenthalt im Restaurant hat uns wieder abgekühlt, aber so langsam gehen unsere Kräfte zur Neige. Tatiana, die immer noch topfit erscheint, verspricht das baldige Ende der Wanderung durch die Stadt. Sie will noch einen Freund besuchen. Er ist Schmuckkünstler und in der Stadt sehr bekannt. Schon bald erreichen wir sein Atelier. In dem Eingangsbereich hat er große Bilder aufgehängt, die seinen Schmuck zeigen. Darin hat er in einer Fotomontage in sehr künstlerischer Form schöne Frauenakte positioniert. Photoshop macht’s möglich. Aber alles wirkt sehr kunstvoll.
Seine Frau kocht sofort Tee für uns und wir werden ins “Wohnzimmer” gebeten. Das ist ein Multifunktionsraum, der wohl als Küche, Fotoatelier, Werkstatt, Verkaufsraum und eben auch Wohnzimmer dient. Die beiden können leider nur russisch und so muss Tatiana immer übersetzen. Er erzählt, wie er seinen Schmuck designt und dass er ihn bis nach Moskau verkauft. Besonders stolz ist er, dass die “Miss Khabarovsk” seinen Schmuck trägt und zeigt uns gleich die Bilder von der russischen Schönheit mit seinem Schmuck.
Tatiana muss wieder in die Tanzschule und ich fahre mit dem irischen Gast (Sammy) zurück in die Wohnung. Tatiana hat uns einfach ihre Schlüssel zur Wohnung gegeben und will in zwei Stunden nachkommen. Wir sollen den Bus 23 nehmen, der fährt direkt zur Wohnung. Schon bald kommt der Bus und wir steigen ein. Bereits nach einer Haltestelle müssen alle aus dem Bus aussteigen und wir sind beide etwas verwirrt. Ich probiere Tatiana anzurufen, aber sie hört nicht. Also warten wir einfach auf den nächsten Bus und hoffen, dass der uns zur Wohnung bringt. Nach ca. 10 Minuten kommt ein weiterer Bus 23 und der ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Aber egal, wir drängen uns noch rein. Schon bald erkennen wir, dass wir hier richtig fahren und erreichen auch bald die Plattenbau-Siedlung. Ich gehe noch schnell in den nahen Supermarkt und kaufe ein paar Kleinigkeiten für die Reise morgen im Zug, und natürlich wieder Bier und Chips für einen weiteren gemütlichen Plauderabend.
Nach zwei Stunden kommt auch Tatiana. Wir beschließen den Abend mit interessanten Gesprächen. Sammy, der irische Gast, ist Opfer der Rezession geworden. Er hat seinen Job als Elektronik-Facharbeiter verloren und hat aber eine gute Abfindung bekommen. Damit reist er nun um die Welt und will nach Korea gehen um dort als Englisch-Lehrer tätig zu sein. Ich denke an die armen koreanischen Kinder, die sich in Zukunft mit seinem irischen Akzent rumschlagen müssen und auch wenn sie schon ein paar Worte englisch können sicher denken, der redet in einer anderen Sprache.
Bald gehen wir ins Bett. Tatiana hat sogar eine weitere Matratze für den irischen Gast.
Meine längste Zugetappe
Die Landschaft ändert sich nicht wesentlich. Bäume, Bäume, Bäume bis sehr nah an die Bahnstrecke heran. Von Waldbränden ist hier aber nichts zu sehen. Die Dame aus dem Restaurant kommt vorbei und bringt uns unser “Inclusiv-Frühstück”, es ist eine kleine Plastikbox mit ein paar Keksen, einem Döschen Marmelade und Margarine, einer kleinen Waffel und jeweils einem kleinen Beutel Tee und Kaffee. Aber wenn man Hunger hat, kommt das gerade Recht. Ich koche den Tee in der Thermoskanne und kann so immer ein wenig trinken. Der heiße Tee macht sogar den Aufenthalt in der Hitze angenehmer.
Die Stunden rinnen nur sehr langsam dahin. Gott-sei-Dank macht das Gör einen langen Mittagsschlaf und auch ich nutze die Zeit für ein kleines Nickerchen. In der Zwischenzeit hat die Bedienung aus dem Restaurant das “Mittagessen” gebracht. Es wieder das Plastikschälchen, diesmal mit Reis und Hähnchengeschnetzeltem gefüllt. Dazu etwas Krautsalat. Es ist mehr als ich gedacht habe und ich bin nachher richtig satt.
Wieder aus dem Fenster schauen und aus dem Fenster schauen. Der Versuch ein Buch zu lesen, scheitert sofort an dem dauernden Gezeter der Kleinen. Sie hat es faustdick hinter den Ohren und ihre junge Mutter ist nahezu hilflos. Ab und zu mal wird die Mutter etwas lauter und weist die Kleine in die Schranken aber das wird sofort mit lang anhaltendem Geheule quittiert. Da wir von West nach Ost fahren und das Abteil auf der rechten Seite in Fahrrichtung ist, scheint den ganzen Tag die Sonne von Süden in unser Abteil. Auch die zugezogenen Vorhänge können nicht verhindern, dass es über 30 Grand werden. Ich schwitze und schwitze und meine Nase läuft wie ein Wasserfall. Aber es sind ja fast nur noch 24 Stunden bis zur Ankunft in Khabarovsk. Und eine Nacht mit viel Ruhe liegt auch noch vor mir.
Ich beschließe ins Restaurant zu gehen und auf dem Weg dorthin merke ich wie kühl die anderen Wagons sind. Vor dem Restaurant ist die Tür im Wagon ausgehängt und durch ein halb hohes Gitter ersetzt. Das bietet hervorragende Aussichten auf den Zug, wenn er ein Kurve fährt. Leider habe ich die Kamera nicht dabei. Aber ich laufe schnell zurück zum Abteil, denn die Verlockung auf einen schönen Schnappschuß ist es einfach wert. Als ich zurück komme hindert mich ein Angestellter de Restaurants daran der offenen Türe nahe zu kommen. Obwohl er dauernd Russisch redet verstehe ich, dass er wohl Angst hat, dass ich aus dem Zug falle. Ich lege mich nicht mit ihm an und befolge seine Anweisungen (erst einmal!). Auch das Restaurant ist angenehm temperiert. Ich trinke erst mal ein Bier. Wahrsteiner ist leider nicht gekühlt und so entscheide ich mich für russisches Bier. Den Unterschied spüre ich nicht wirklich, denn es ist eiskalt. Nach einer Weile fragt die Bedienung, ob ich noch etwas essen möchte und bringt mir die Karte. Alles auf Russisch. Dann kommt sie zu mir wieder an den Tisch und fragt mich sehr effizient, was ich denn haben möchte: erst Salat, Suppe oder Hauptgericht? Dann Fleisch, Fisch, oder Hähnchen? Dann Kartoffeln, Reis oder Nudeln? Dann Gemüse oder nicht? Ich nehme ein Stück Fleisch vom Schwein, Kartoffeln und Gemüse. Nach ein paar Minuten kommt ein goldbraunes Schweineschnitzel mit Pommes und einer nett verzierten Gemüsebeilage. Na geht doch, denke ich, auch auf Russisch.
Zwischendurch verschwinde ich mal kurz und die Luft an der offenen Zugtür ist rein. Ich schieße schnell ein paar schöne Fotos vom Zug in der Kurve. Und schnell gehe ich wieder ins Restaurant zurück.
Es wird langsam dunkel draußen und ich gehe zurück ins Abteil. Schwül warme, stickige Luft empfängt mich als ich Türe zum Abteil öffne. Aber was soll’s, da muss ich jetzt durch. Die Mami liegt mit ihrer Tochter schon im Bett und sie schlafen schon. Auch ich verkrieche mich schnell in meine Koje und versuche zu schlafen. Ich habe noch viel Zeit dem gleichmäßigen Klappern der Räder zu Lauschen.
Am nächsten Morgen hat das Girlie gute Laune! Sie singt lauthals und in schiefen Tönen russische Kinderlieder und Mammi summt mit. Ich könnte die Beiden auf den Mond schießen. Aber ich bleibe freundlich, lächle den beiden mal kurz zu und drehe mich wieder um. Die Hitze ist wieder unerträglich. Aber es sind ja “nur” noch ca. 8 Stunden Zugfahrt. Draußen ist die Landschaft jetzt karger geworden. Man sieht endlose Steppen mit ein paar Baumgruppen. Am Horizont erheben sich unbewaldete Hügel. Häuser werden auch immer seltener. Wir fahren zwar immer mal wieder durch einen kleinen Bahnhof, aber in der Regeln hält unser Zug nur ca. alle 3 Stunden. Die Bahnhöfe sind auch sehr “provinziell” und die Häuser rings rum sind auch sehr dörflich.
Ca. 2 Stunden vor der Ankunft in Khabarovsk wird es langsam hektisch im Zug. Auch die Mutti muss ihre vielen Kisten, Plastiktaschen, Reisetaschen und Koffer langsam wieder packen. Russen verreisen halt immer irgendwie wie beim Umzug und haben Lebensmittel für mindestens die doppelte Anzahl von Menschen und für mindestens 2 Wochen dabei, auch wenn Sie “nur” zwei Tage im Zug unterwegs sind.
Eine Stunde vor der Ankunft will die Provodniza unsere Bettwäsche haben. Und so langsam bin ich froh, diese Etappe überstanden zu haben. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof überqueren wir noch die sehr imposante Brücke über den Fluß Amur. Dieser Fluss fließt in den Pazifik, den ich in ein paar Tagen auch aus dem Zugfenster sehen werde.
Am Bahnsteig empfängt mich eine bildhübsche junge Frau. Es ist Tatiana, die ich über Couchsurfing gefunden habe. Sie wohnt mit ihren Eltern am Stadtrand in einem Plattenbau, wie ich jetzt schon einiuge kenne. Ihre Eltern sind in Urlaub und so kann ich ein Zimmer für mich alleine haben. Morgen früh kommt noch ein weiterer Gast aus Irland.
Wir gehen erst mal in den nahen Supermarkt und kaufen ein paar Dinge für das Abendessen. Sie ist Tanzlehrerin für argentinischen Tango und gibt heute Abend noch eine Doppelstunde in einem Zimmer der Wohnung. Ich sitze im Nebenraum und lese ein wenig die neusten Zeitungen aus Deutschland auf dem iPad.
Als sie fertig ist, machen wir es uns in der Küche gemütlich, essen, trinken Bier und erzählen uns gegenseitig von unseren Kulturen. Sie ist bereits sehr viel in Europa rumgekommen und sobald sie etwas Geld zusammen gespart hat, verreist sie wieder schnell irgendwo hin. Sie meint, Europa ist so klein, dass sie schneller ganz Europa gesehen hat, als in die nächste größere russische Stadt zu fahren.
Langsam werde ich müde und ich muss etwas Schlaf nachholen. Ich bekomme ein Matratze und sie hat frische Bettwäsche für mich. Das Einschlafen fällt mir diesmal nicht sehr schwer in der ruhigen Wohnung.
Zweiter Tag in Tschita
Mit der Kamera und dem Reiseführer mache ich mich nun in die Stadtteile, die ich bisher noch nicht gesehen habe. Immer wieder entdeckt man schon nach ein paar Metern eine Kirche mit goldener Kuppel. Diese hier war mal eine christliche Kirche, die aber zu einer orthodoxen umgebaut wurde. Ganz in der Nähe sehe ich dann auch ein Panzerdenkmal, was an den “vaterländischen Krieg”, wie der 2. Weltkrieg hier genannt wird, erinnert.
Es ist schon ziemlich schwül und ich gehe einfach in ein kleines Café. Es ist von einem chinesischen Betreiber und an der Theke steht ein Polizist, der hier gerade seine Mittagspause verbringt. Die Unterhaltung gestaltet sich zwar schwierig, aber jeder kann in irgendeiner Sprache etwas dazu beitragen und so haben wir alle unseren Spaß zusammen. Ich erkläre anhand der Karte im Reiseführer meine Route und alle sind sehr beeindruckt.
Mein Weg führt weiter zum Opernhaus der Stadt. Davor ist ein lieblich gestalteter Platz mit einem sehr schönen Brunnen, eine Granitkugel, die sich im quellenden Wasser dreht. Schon kurz danach komme ich auf die Haupteinkaufsstraße. Rechts und links sind moderne Geschäfte, die Mode in westlichem Stil verkaufen. Dazwischen Läden für Handy- und Computertechnik. Das sind die Güter, die im Moment hier gefragt sind.
Weiterhin sieht man im Stadtbild sehr oft alte Holzhäuser mit ihren malerischen Fensterläden. Immer wieder sieht man, dass diese auch sehr gut restauriert sind, andere hingegen verfallen zusehends.
Kurz danach sehe ich die Bar Dresden. Wohl ein altes Relikt aus den Freundschaftszeiten mit der DDR. Zurück über den Leninplatz erreiche ich mein Hotel wieder und beschließe den Rest des Nachmittags noch etwas für die nun anstehende längste Etappe meiner Reise auszuruhen. Ich fahre dann heute Abend fast 42 Stunden mit dem Zug Nr. 2 “Rossija” nach Khabarovsk.
Gegen 23:00 checke ich aus dem Hotel aus. Es gibt etwas Verwirrung mit meinen Registrierungspapieren. Aber ich habe eh den Eindruck, dass dies die Grenzbeamte eh nicht mehr so genau interessiert. Aber man wird überall darauf hingewiesen, dass eine ordentliche Registrierung bei den Behörden unabdingbar ist.
Ich laufe den kurzen Weg zum Bahnhof. Draußen ist es jetzt 16 Grad und ich schätze die Kühle, denn das Gewicht des Rucksacks liegt schwer auf meinen Schultern. Ziemlich geschwitzt erreiche ich das Bahnhofsgebäude und ruhe mich erst mal im Wartesaal aus. Hier gibt es keine Anzeigen, die ich aus den anderen Bahnhöfen gewohnt war. Alles funktioniert nur mit russischen Durchsagen, von denen ich maximal die Zielorte verstehe. Mein Zug wird von nicht angesagt. Plötzlich höre ich die Orte meine Zuges und dann irgendetwas gefolgt von dem Wort “minutes”. Ich denke das es sich wohl um eine Verspätung handelt wird und ich sollte Recht behalten. Ich versuche das Wort vor “minutes” noch über das Lexikon zu identifizieren und zu meinem Erstaunen lese ich “vierzig”.
Hoffentlich habe ich mich verhört. Ich packe also meinen Rucksack und gehe raus auf den Bahnsteig. Um einen besseren Überblick über die Lage zu haben, gehen ich hoch oben auf die Fußgängerbrücke, die die beiden durch die Gleise zerschnittenen Stadtteile miteinander verbindet. Gleichzeit gehen von hier jeweils Treppen hinunter zu den Bahnsteigen. Ich sehe aber immer nur Güterzüge herannahen. Sie sind riesig lang und fahren fast alle von Ost nach West. Nach fast einer halben Stunde kommt der erste Passagierzug. Der kommt aber aus der falschen Richtung. Am Stand der Sonne am Nachmittag hatte ich mir die Himmelsrichtungen gemerkt. Es wird langsam bitterkalt, die Anzeige auf der großen Bahnhofsuhr zeigt 13 Grad. Ich ziehe provisorisch meine Jacke über und warte und warte. Nach wirklich 40 Minuten fährt mein Zug in den Bahnhof ein. Er ist schon von weitem an der markanten Farbe zu erkennen.
Vor der Wagontüre ist wieder ein ziemliches Gewusel. Tausend Taschen müssen verladen werden. Als ich dann endlich in den Wagen einsteigen kann, kommen immer noch aussteigende Gäste entgegen, die wohl zu spät geweckt worden sind. In dem Engen kann kommen wir kaum aneinander vorbei. Endlich erreiche ich meine Abteil, aber hier sind mindesten 7 Leute drin. Langsam klärt sich die Situation und zurück bleibt eine junge Frau mit ihrem ca. 2-jährigen Kind. Und ich denke schon, das kann ha heiter werden. Die Kleine ist ziemlich bockig und will erst mal nicht die Oma weglassen. Die muss aber jetzt wirklich aussteigen, weil der Zug in Kürze abfahren wird.
Nachdem der Zug sich in Bewegung gesetzt hat, machen wir uns an die Arbeit die Betten herzurichten. Ich habe ja nun schon einige Erfahrung damit und relativ schnell kann ich es mir gemütlich machen. Nur die Kleine will nicht so schnell einschlafen und meckert immer wieder rum. Nach ca. einer Stunde ist sie so erschöpft, dass auch sie endlich einschläft.
Erster Tag in Tschita
Ich beschließe, weil ich ja wirklich zwei volle Tage hier in Tschita bin, noch etwas zu schlafen bevor ich die Stadt besichtige. Nachdem ich ein paar Bilder bearbeitet habe drängt es mich nun doch nach draußen. Leider ist das Wetter schlechter als ich es erwartet hatte. Leichter Nieselregen verdirbt mir etwas die Lust auf eine größere Stadtbesichtigung. So bleibe ich im Umfeld des Hotels, sehe aber einige sehr schöne Gebäude und Kirchen. Als der Regen gerade stärker wird, flüchte ich in das Bahnhofsgebäude und kann mich gleich mit den Gegebenheiten vertraut machen. Ich bin ja um Mitternacht im Dunkeln angekommen und habe bis jetzt keine Ahnung wie der Bahnhof innen aussieht. Es gibt eine riesige Schalterhalle und dann drei aufeinander folgende Warteräume. Am Ende des Gebäudes ist ein kleines Café. Die Kassiererin versteht meine Handzeichen genau und so komme ich schnell zu meinen bestellten Sachen.
Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen und die Sonne wagt sich jetzt etwas durch die Wolkenschleier. Mein Weg führt mich zurück zum Lenin-Platz mit der beeindruckenden Statue. Der Platz ist sehr gepflegt und überall sind schöne Blumenbeete. Die Leute halten sich wohl sehr gerne hier auf, weil die vor dem Platz verlaufene 8-spurige Straße für den Verkehr gesperrt ist. An einer Ecke des Platzes füttern die Kinder die Tauben der Stadt, die hier ein Festmahl geboten bekommen. Auch Hunde tollen frei in der Anlage rum. Keine Ahnung ob die hier wild leben oder ob Herrchen doch irgendwo in der Nähe ist.
Da es schon 18:00 Uhr ist beschließe ich zurück zum Hotel zu gehen. Das Wasser in der Dusche ist immer noch kalt. Deswegen beschwere ich mich an der Rezeption, was sich wirklich schwierig gestaltet. Die Dame kann kein Wort Englisch und ich kann mit meinen 20 Worten russisch auch nicht erklären, um was es hier geht. Ein Security-Mann eilt zu Hilfe und mit ihm als Dolmetscher wird mein Anliegen schnell klar. Ich soll auf mein Zimmer gehen und innerhalb weniger Sekunden kommt die Etagen-Dame zu mir. Sie geht in die Dusche und lässt (wie ich vorher) das Wasser ein paar Minuten laufen. Auch sie erkennt jetzt, dass sie nichts ausrichten kann und schickt mir 2 Mechaniker ins Zimmer. Die lassen das Wasser aus allen verfügbaren Rohren (Waschbecken, Dusche, Bidet) laufen. Innerhalb weniger Minuten schwimmt das ganze Bad, das Wasser ist aber immer noch eiskalt. Sie palavern die ganze Zeit, aber damit wird das Wasser auch nicht warm. Dann nehmen sie ihr Werkzeug und verschwinden. Da ich eh zum Essen gehen will, komme ich wieder an der Rezeption vorbei. Der Sicherheitsmann beruhigt mich gleich und sagt mir, dass die Mechaniker 20 Minuten für die Reparatur brauchen werden. Ich kann also ins Restaurant gehen und in Ruhe Abendessen.
Der Kellner bringt mir erst einmal die russische Karte. Aber auch hier haben sie wie in fast allen Restaurants eine übersetzte Karte. Wegen der Nähe zu China gibt es die Übersetzung auch auf Chinesisch. Ich bestelle eine kleine Vorspeise aus Champignons und eine Fleischspezialität des Hauses ohne genau zu wissen was kommt. Alles kommt sehr schön garniert und ist sehr schmackhaft. Der Service ist wirklich auf gutem Niveau und so haben sich die Kellner auch ein Trinkgeld verdient.
Zurück in der Eingangshalle des Hotels kommt der Sicherheitsmann auf mich zu und erklärt mir, dass das Wasserproblem nicht gelöst werden kann und ich deshalb in ein anderes Zimmer umziehen werde. Ich finde das eine gute Idee, wenn dort endlich warmes Wasser vorhanden ist. Als ich mein neues Zimmer betrete bin ich noch mehr überrascht, es hat einen separaten Vorraum mit Couch und im Badezimmer ist eine riesige Badewanne. Ein richtiges Luxuszimmer also. Und schon nach einigen Sekunden kommt wirklich warmes Wasser aus dem Hahn.
Nach einer ausgiebigen Dusche zappe ich noch etwas durch die ausschließlich russischen Fernsehprogramme. Es ist wirklich schwer auch nur wenige Worte zu verstehn oder der Handlung des Filmes zu folgen. Also gebe ich schnell auf und mache das Licht aus.