Ulan-Ude in Burjatien
Am Bahnsteig wartet schon mein Gastgeber Dambi. Er ist 29 Jahre alt, und wohnt allein in seinem Haus(teil) bei den Eltern und der verheirateten Schwester. Er selbst ist seit 5 Jahren geschieden. Schon voller Stolz erklärt er mir auf der Fahrt zum Haus, das er Burjate ist. Das Stadtbild sieht jetzt auch komplett anders aus, als in den Städten zuvor. Alle Menschen haben bereits ein mongolisches Aussehen. Aber die Burjaten stammen von den Mongolen ab. Nun habe ich wirklich das Gefühl in Asien angekommen zu sein.
Als wir von der befestigten Straße in einen Feldweg in Richtung ein paar Häuser abbiegen wird mir zum ersten Male mulmig. Schon bald erreichen wird über “Schlammwege” (auch hier hat es wohl am Vortage viel geregnet) den Hof der Familie. Beim Aussteigen kläfft der Hund hinter der hohen Umzäunung. Wir gehen über den Hof eine Holztreppe hinauf zu seinem Wohnungseingang. Als wir das Zimmer betreten wird mir zum zweiten Male mulmig. Die Wohnung hat zwei Zimmer, das erste ist die Küche kombiniert mit Wohnzimmercouch, das andere Zimmer, was nun mein Gastzimmer ist, ist Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Badzimmer, Klo in einem einzigen Raum. Alles steht offen rum, der Bereich unter der Badewanne und dem Klo ist gefliest. Dambi sagt mir, er hätte es bisher nicht geschafft das Badzimmer abzutrennen. Dabei hatte er mir auf der Fahrt erzählt, dass er zur Zeit arbeitslos ist und nach Jobmöglichkeiten schaut.
Wir beschließen schnell, sofort mit den Besichtigungstouren anzufangen. Er will mich zum Lamakloster Ivolginsk fahren, was ca. 40 km außerhalb von Ulan-Ude liegt. Es gilt als das religiöse Zentrum des Buddismus in Russland. Aber erst muss Dambi noch Öl und Benzin für sein Auto kaufen. Dazu erbittet er von mir einen Vorschuss auf den Zimmerpreis, der nach Angabe der Agentur bei 28 EUR liegt. Schnell lassen wir die Stadt hinter uns. Die Landschaft ist hügelig und fast gar nicht bewachsen. Auf dem Parkplatz vor dem Kloster herrscht dichtes Gedränge. Wir parken genau bei einem englischen Ambulanzwagen und fragen uns beide, wie der denn nach Burjatien kommt. Aus dem Ambulanzwagen steigen drei junge Männer. Schnell kommen wir ins Gespräch und erfahren, dass die drei einen, bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung gestifteten, Wagen von London in die Mongolei überführen. Sie sind bereits seit drei Wochen unterwegs durch ganz Russland und wollen den Wagen bald in Ulaanbaatar in der Mongolei einem Krankenhaus übergeben. Welch ein Trip!
Dambi besorgt noch kleinste Geldmünzen, die wir im Kloster brauchen. Der buddhistische Glaube besagt, dass man das Kloster erst so viel Mal im Uhrzeigersinn umkreisen muss, wie viel Jahre man alt ist. Wir belassen es bei einer Runde und hinterlassen jeweils bei den Gebetsmühlen, die ebenfalls im Uhrzeigersinn zu drehen sind, ein paar von den Münzen als milde Gabe. Später sehe ich auch Süßigkeiten und Nahrungsmittel. Im Kloster leben 60 Mönche und ca. 150 Klosterschüler. Nach einem ewig langen Weg mit vielen Gebetsmühlen erreichen wir das Hauptkloster. Es ist innen sehr prachtvoll gestaltet, überall sind Bilder und Statuen von Buddha, die jeweils einzeln verehrt und angebetet werden. Am Ende der Statuen darf man aber Buddha nicht einfach den Rücken zeigen und aus dem Kloster rausgehen, sondern man geht in ehrwürdiger Haltung rückwärts aus dem Raum.
Auf dem Parkplatz sprechen Dambi zwei junge Frauen an und wollen mit in die Stadt genommen werden. Ich habe nichts dagegen und wir fahren direkt zurück ins Stadtzentrum. Von der Unterhaltung verstehe ich zwar nicht viel, aber ich merke, dass Dambi ein wahrer Frauenheld ist. Dann meinen sie sogar, sie seien verwandt. Wir lassen die Damen an der nächsten Bus-Haltestelle aus dem Auto. Dambi meint nun, er wolle ja heute Abend mit mir Bier trinken und deswegen würde er das Auto lieber zuhause lassen. Ein guter Vorschlag, denn auf den Straßen habe ich schon mehr Unfälle gesehen wie all die Tage zuvor.
Wir fahren mit dem Bus in die Stadt und Dambi erklärt mir alle die Gebäude und geschichtlichen Hintergründe. Auf den großen Platz steht der größte Leninkopf in der Welt. Der Kopf war Ausstellungsstück im russischen Pavilon auf der Weltausstellung 1971 in Kanada. Am Ende der Ausstellung fand sich kein Interessent für das monströse Bauwerk und so schob man es nach Transbaikalien hier nach Ulan-Ude ab. Immer wieder fragt er mich auch nach meinen persönlichen Verhältnissen und ich denke, ich muss langsam vorsichtig sein, was ich ihm antworte. Ich glaube er erhofft sich auch eine gewisse Starthilfe für eine Geschäft oder einen Job in Deutschland. Wir laufen lange durch die Stadt und machen überall Fotos. Dann lade ich ihn auf ein Bier ein, was er gerne annimmt. Wir sind in einer Pizzeria, aber Dambi meint, dies sei nicht der richtige Platz um etwas zu essen. Deswegen gehen wir in ein burjatisches Restaurant und essen das Nationalgericht der Mongolen: Booza. Das sind Hackfleischbälle, die in einer Teigtasche gekocht bzw. mit Dampf gegart werden. Dambi zeigt mir genau wie man die heißen Teile ist. Zuerst beißt man ein Loch in den Teig, trinkt daraus den Fleischsaft ab, dann kann man sich weiter an das Fleisch vorarbeiten. Dazu gibt es einen sehr scharfen Senf, den man mit Essstäbchen auf dem Fleisch verteilt. Das Essen ist sehr lecker und wir bestellen gleich eine zweite Runde von jeweils 4 Bällchen.
Abschließend besuchen wir noch die russisch orthodoxe Kirche in der Nähe. Auch hier bin ich wieder beeindruckt von dem prachtvollen Inneren der Kirche. Nun gebe ich Dambi langsam zu verstehen, dass es für Zeit für den Heimweg ist. Anscheinend würde er mit mir jetzt noch gerne Party machen gehen. Aber ich bleibe hartnäckig und wir fahren mit dem Bus Richtung Haus. Unterwegs ruft er kurz einen Freund an und wir müssen an der nächsten Bushaltestelle lange vor dem Ziel aussteigen. Der Freund wird uns mit seinem Auto nach Hause bringen. Schon nach ein paar Minuten ist er da und wir fahren zu Dambis Haus. Er kommt noch kurz mit rein, verabschiedet sich dann aber sofort und meint er würde jetzt nochmal mit dem Freund zurück in die Stadt fahren.
Ich denke erst mal: kein Problem, geht ihr ruhig saufen! Ich arbeite noch ein wenig an meinen Texten und gehe dann bald schlafen. In der Nacht werde ich immer wieder wach, weil ich auf Dambis Rückkehr warte, aber selbst als der Morgen bereits graut, bin ich noch immer alleine in der Wohnung.