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Überfahrt nach Sachalin
Pünktlich erreichen wir den Bahnhof. Da ich ein Abteil ziemlich weit hinten im Wagon hatte, steige ich ziemlich als Letzter aus dem Wagen aus. Alles stürmt ins Bahnhofsgebäude und auch ich hinterher. Ich suche das beschriebene Kassenhäuschen, was ich nicht sofort entdecke. Ich gehe in eine Nebenhalle und dort ist wirklich ein Kassenschalter. Schon nach kurzer Wartezeit bin ich an der Reihe. Die Dame macht mir schnell klar, dass es hier nur Bahnfahrkarten gibt und sagt mir auf Russisch irgendetwas. Ich schaue wohl ziemlich verdutzt drein. Sie schließt ihren Schalter vor der wartenden Menge, kommt raus und nimmt mich an die Hand und führt mich zum richtigen Schalter in der Haupthalle. Den hatte ich im Eifer direkt übersehen. Er befindet sich ziemlich versteckt in der linken Ecke der Halle und vor dem Schalter knäult sich die Menschenmenge. Ich denke, das kann ja lustig werden und in Gedanken richte ich mich einen schönen Tag in der Bahnhofshalle ein. Doch überraschend schnell wird von der jungen Dame am Schalter die Schlange abgearbeitet. Als noch 5 Männer jeweils mit einem dicken Packen Pässe für andere Personen von mir stehen, drängt sich eine resolute Frau vor und redet die protestierenden Männer an die Wand. Vor mir steht ein junger Mann, den ich wohl auch genervt anschaue. Er erklärt mir in gebrochenem Englisch, dass die Frau reservierte Tickets hat und deswegen Vortritt hat. Als ich ihm erkläre, dass auch ich ein reserviertes Ticket habe, lässt er mich vor und erklärt sogar den anderen Männern auf Russisch, warum ich vor darf.
Schnell erhalte ich mein Ticket und bekomme dazu sogar eine Kabine der “Ljuks” (Deluxe) Kategorie für mich alleine. Und dafür bezahle ich samt 20 Stunden Überfahrt gerade mal 1900 Rubel (ca. 50 EUR).
Der junge Mann aus der Schlange kommt auch, nachdem er sein Ticket erhalten hat, in die Wartehalle und setzt sich zu mir. Er ist auf dem Weg zu seiner Freundin, die auf der Insel Sachalin lebt. Er will jetzt auch erst mal dort bleiben und will einen Job bei einer der Ölfirmen suchen. Ich habe immer wirklich Glück so nette Menschen hier zu treffen. Die Durchsage, die wir aus den Lautsprechern hören, verursacht Hektik in der Halle. Alle stehen auf und packen ihre Sachen. Sergej, so heißt der Mann aus Moskau, erklärt mir, dass in Kürze der Bus zur Fähre kommen wird. Er hilft mir sogar mit meinem schweren Rucksack. Auf dem Bahnhofsvorplatz warten wir dann im Schatten auf die Ankunft des Busses. Es ist schon wieder ziemlich warm und ich schwitze bereits. Nach wenigen Minuten fährt der Bus vor und Unmengen von Leuten mit noch mehr Taschen quellen aus dem Bus als die Türen sich öffnen. Als alle ausgestiegen sind, geht der Kampf um die besten Plätze im Bus richtig los. Ziemlich ungeniert wird hier geschubst und geschoben was das Zeug hält. Ich erreiche auch gesund den Bus und die Fahrt geht sofort los zum nahe gelegenen Hafen. Man konnte ihn schon aus dem Zug von der Bahnstrecke aus sehen. Nach wenigen Minuten erreichen wir die Fähre, die sicherlich schon bessere Tage gesehen hat. Sicherheitsbedenken habe ich heute nicht, denn das Meer ist ziemlich glatt und das Wetter soll auch so bleiben. Wir betreten eine alte, schäbige Halle. Von hier wird eine Treppe zu einer Öffnung der Fähre herunter gelassen. Das Personal der Fähre kontrolliert noch die Fahrkarten und teilt Gutscheine für das Mittagessen aus. Passkontrollen werden nicht mehr vorgenommen. Im Internet hatte ich gelesen, dass es für ausländische Reisende nach Sachalin besonders strenge Passkontrollen geben soll, aber nichts dergleichen.
Im Schiff weist mir das Personal den Weg. Aber wieder so schnell, dass ich auf Russisch nicht folgen kann. Aber die Damen haben dann doch Mitleid mit mir und gehen voran auf dem Weg zu meiner Kajüte. Die Kabine ist einfach und zweckmäßig eingerichtet und überraschend sauber. Ich ruhe mich ein paar Minuten aus und besichtige dann das Schiff. Es ist ziemlich klein im Vergleich zu den Fähren, die ich von den Überfahrten nach Korsika kenne. Alles ist sehr übersichtlich und es gibt ein Restaurant. Mit der Kamera streife ich über das Oberdeck und schieße schon mal ein paar schöne Bilder. Schon bald setzt sich die Fähre in Bewegung und ich genieße die Aussichten von Deck auf das offene Meer. Ja, ich bin wirklich im Pazifik angekommen.
Im Restaurant treffe ich Sergej wieder und lade ihn gleich auf ein Bier ein. Er organisiert solange mit den Gutscheinen unser Mittagessen. Es ist eine koreanische Fertigmahlzeit, die nur mit heißem Wasser übergossen werden muss. Dazu zwei kleine Stückchen Toastbrot und ein kleiner Joghurt. Sergej meint, dass dies bei weitem nicht genug sei und geht erst mal in seine Kabine und holt den ganzen Sack mit Lebensmitteln ins Restaurant. Er packt Brot und Speck aus, Kekse und Kuchen der verschiedensten Sorten. Dazu ein großes Schweizer Taschenmesser. Gleich fängt er an und macht mir ein großes “Butterbrot” mit Speck. Wir unterhalten uns sehr gut und sein Englisch wird immer besser. Manchmal reden wir mit Händen und Füssen und die Verständigung klappt super.
Nach dem Mittagessen ziehe ich mich in meine Kabine zurück und mache ein kleines Nickerchen. Die Fähre wird bis morgen früh auf dem Meer unterwegs sein, also genug Zeit zum Ausruhen. Gegen 18:00 gehe ich nochmal raus und suche mir ein windgeschütztes Plätzchen aus. Hier ist ein beliebter Treffpunkt für viele Raucher. Auch Sergej kommt wieder und wir unterhalten uns weiter. Das Schiff gleitet fast lautlos über das Meer und ich bleibe solange draußen sitzen bis die Sonne glutrot im Meer versinkt.
Ich verabschiede mich von Sergej und gehe zurück in meine Kabine. Dort habe ich genügend Zeit die Berichte der letzten Tage zu schreiben. Es gibt sogar genügend Steckdosen um meine ganzen elektrischen Geräte aufzuladen.
Ich werde heute Nacht nicht viel Schlafen können. Unsere Ankunftszeit soll morgen früh um 04:00 Uhr sein. Danach muss ich irgendwie in die Hauptstadt der Insel kommen. Dort werde ich die erste Nacht in einem Hotel verbringen, damit ich eine ordentliche Registrierung bei den Behörden für die Insel Sachalin habe. Dann werde ich keine Probleme bei der Ausreise haben. Eine weitere Nacht werde ich bei einer privaten Gastgeberin verbringen, die ich auch wieder über Couchsurfing gefunden habe.
Auf dem Weg zum Pazifik
Gegen 06:20 stehe ich auf. Draußen ist es noch sehr dunkel aber das erste Dämmern ist zu erkennen. Tatiana hat für mich um 07:00 ein Taxi zum Bahnhof bestellt und will mit in die Stadt kommen. Schnell packe ich meine Sachen und bin pünktlich fertig. Nur Tatiana muss sich noch schminken, die Katze füttern und will auch noch um 5 nach sieben für mich Tee kochen. Aber dann kommt der rettende Anruf des Taxifahrers und wir müssen runter.
Der Taxifahrer zeigt uns seine “Michael-Schuhmacher-Qualitäten”. Er heizt durch die Stadt, als muss er ein Formel-1 Rennen gewinnen. So sind wir schon um 20 nach sieben am Bahnhof. Ich will mich gerade von Tatiana verabschieden, aber sie lässt es sich nicht nehmen, mich bis in den Zug zu begleiten. Uns kommen auf der engen Treppe viele schwer bepackte Reisende entgegen und ich habe meine Last, meinen Weg zu verteidigen. Wir müssen zum Bahnsteig 4, was ein ziemlich langer Weg über die hohen Passagierbrücken bedeutet. Mein Zug steht bereits am Gleis, er hat hier mehr als eine Stunde Aufenthalt. Von hier kommen die großen Menschenmassen, die mir auf der Treppe begegnet sind. Der Zug ist deutlich älter und dreckiger als die Züge zuvor. Er hat die Nummer 351. Man hatte mir ja gesagt, dass der Komfort mit höher werdenden Zugnummern deutlich nachlässt. Schnell finde ich meinen Wagon und auch an der Schaffnerin hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Die oberste Gebissreihe ist weitgehend in Gold, aber für den Schneidezahn in der Mitte hat das Budget wohl nicht mehr ausgereicht. Aber freundlich kontrolliert sie mein Ticket und meinen Pass und ich kann einsteigen. Tatiana begleitet mich bis ins Abteil um mir mit dem Gepäck zu helfen. Ich habe diesmal mehr Glück als beim letzten Zug. Unten liegt eine schlafenden Frau und oben zwei schlafende junge Männer. Das verspricht mehr Ruhe. Die Einrichtung des Abteils stammt größtenteils aus dem VEB “Plaste und Elaste” und ist wohl in der DDR gebaut worden. Überall sieht man Schilder in deutscher und russischer Sprache. Leider ist es jetzt schon sehr warm und stickig. Und so gehe ich mit Tatiana zurück in die frische Morgenluft. Wir haben bis zur Abfahrt noch knapp eine Stunde Zeit. Wir reden noch ein wenig und dann muss Tatiana los zu ihrer Tanzschule. Sie verabschiedet mich herzlich mit Küsschen links und rechts, wie man es in Russland so macht. Schon bald ist Tatiana im Menschengewühl des Bahnsteiges verschwunden und ich mache noch ein paar Fotos vom sehr schönen Bahnhofsgebäude. Leider traue ich mich nicht mehr zurück auf den Bahnhofsvorplatz.
Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung und schon bald kommt das gewohnte Bild. Bäume, Bäume, Bäume. Ich döse auf meinem Bett und die anderen schnarchen. Gegen 11:00 kommt das schon bekannte “Frühstück”. Es hat die gleiche Qualität wie in den Komfortzügen. Mit der steigenden Sonnen steigt auch die Temperatur im Abteil in unangenehme Höhen. Ich beschließe es den Russen gleich zu tun und ziehe mein Hemd aus. Es ist zwar immer noch heiß, aber nun besser zu ertragen. Immer wieder gehe ich mal auf den Flur. Hier sind einige Zugfenster geöffnet und so sind die Temperaturen wesentlich angenehmer. Der Zug hält an jeder “Milchkanne”. Jeder Bahnhof an der Strecke wird angefahren. Insgesamt habe ich 80 Stopps an der Strecke bis nach Vanino. Auf der Zugtafel entnehme ich, dass die Strecke von Khabarovsk bis nach Vanino am Pazifik 855 km lang ist. Alles ist auf den km genau festgehalten.
Im Nachbarwagen ist das Restaurant untergebracht. Die Restaurantwagen werden an den Bahnhöfen durch eine große offene Tür mit neuen Lebensmitteln versorgt. Und diese Türe ist meistens während der Fahrt nur durch ein Gitter gesichert und sonst offen. Ich nutze die Gelegenheit und mache noch schnell ein paar Fotos vom Zug in der Kurve, bevor ich ein weiteres gutes russisches Menü genieße. Zu meinem Erstaunen ist Menükarte auch auf Englisch verfügbar. Das Personal ist wie immer sehr freundlich und bemüht. Von der Trägheit des Sozialismus ist hier nichts mehr zu spüren. Satt und glücklich krieche ich in meine Koje und stelle mir noch den Wecker für morgen früh. Mein Zug wird um 10:17 in Vanino ankommen.