Moskau-Ekaterinburg
Am nächsten Morgen weckt mich die Sonne und ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass die Waldbrände bei Moskau wohl lange hinter uns liegen. Die Luft sieht viel klarer aus und die Klimaanlage verrichtet auch wieder ihren Dienst ohne Brandgeruch von außen. Trotzdem sieht man hin und wieder an der Strecke Bäume mit braunen Blättern und verkohltem Untergrund. Hier muss das Unterholz gebrannt haben und die Hitze des Brandes hat die Blätter der Birken augenblicklich verdorren lassen. Die Baumstämme sind aber in den seltensten Fällen schwarz verkohlt. Und oft sieht man auch wie schnell sich die Natur das Terrain zurück erobert, überall schießt schnell das Grün wieder aus dem Boden.
Schon von 20 vor 11 Uhr kommen die zwei Provodnizas in mein Abteil und wollen mir ein Mittagessen verkaufen. Die Auswahl gestaltet sich schwierig, aber immerhin können sie auf Englisch die Worte für Fisch, Hähnchen und Fleisch. Ich entscheide mich spontan für “Chicken” aber nun fangen die Probleme erst richtig an. Sie redet unablässig sehr schnell auf Russisch und ich verstehe nicht ein einzelnes Wort. Als sie das merkt, setzt sie sich zu mir auf die Bank und malt auf ihrem Block ein Hähnchen und macht in der Mitte einen Strich durch. Nun verstehe ich: sie meint das Ganze oder das Halbe. Ich entscheide mich für das Halbe. Und dann schreibt sie noch eine Menge Zahlen auf den Block und mit Händen und Füssen verständigen wir uns. Der Preis wird wohl in 100 Gramm je 178 Rubel berechnet. Das erscheint mir zwar etwas teuer, aber viel Auswahl habe ich ja nicht. Dann fragt sie noch nach den Beilagen und da verstehe ich sie überraschen ganz gut. (Auf dem Teller lag dann auch das Gewünschte!) Sie zeigt mir noch auf meiner Armbanduhr, daß die Zubereitung ca. 30 Minuten dauern wird. Das ist bei der frühen Zeit aber wirklich kein Problem und ich warte geduldig. Genau nach der angekündigten Zeit bringt sie das bestellte Essen. Leider hätte es ruhig noch etwas länger im Backofen bleiben können, aber es schmeckt trotzdem ganz gut.
Wenn man aus dem Fenster schaut sieht man hauptsächlich nur eines: Bäume, Bäume, Bäume. Ab und zu kommt auch mal ein kleines Dorf, aber man hat den Eindruck auf einer Strecke von 1700 km ist nur Wald. Von Frankfurt aus wäre man mit 1700 km schon in Südspanien!
Ich bleibe den ganzen Tag alleine im Abteil. Es fahren insgesamt nicht viele Passagiere in der ersten Klasse und auch auf den kleineren Bahnhöfen steigt kaum jemand zu. Die Babuschkas mit den Speiseangeboten platzieren sich an den Bahnsteigen auch nicht vor den 1. Klasse Wagen, weil sie wohl wissen, dass hier kaum Geschäfte zu machen sind. Nur einmal kommen zwei Händlerinnen mit fahrbaren Tischen mit Handwerksarbeiten aus Birke und kleinen Schmucksteinen zu uns an den Wagon.
An jedem Bahnhof versuche ich mit dem iPad Kontakt zu dem lokalen Mobilfunknetz aufzubauen, was mir auch meistens gelingt. Nun überträgt der iPad meine aktuelle Position zu Google und jeder kann auf meiner Homepage nachschauen, wo ich mich gerade in dem Moment aufhalte. Für den Zweck ideal, im sonstigen Leben wäre das aber doch ein datenschutz-technischer Albtraum.
Langsam nähern wir uns dem Tagesziel Ekaterinburg. Hier ist die Zeitdifferenz zu Deutschland schon 4 Stunden und bei meiner Ankunft ist es schon 20:18 und draußen dämmert es schon langsam. Erst schlage ich den falschen Weg im Bahnhof ein und lande wieder in einer riesigen Wartehalle. Auch der zweite Weg führt mich in die Irre, denn nun bin ich in der riesengroßen Spielhalle für die Kinder gelandet. Also kann der Weg nur noch nach unten gehen. Ich finde leicht den Weg zum Bahnhofsvorplatz und dort wimmelt es auch wieder von Menschen. Ich sehe nicht sofort das Hotel, das angeblich gegenüber liegen soll. Deswegen frage ich eine russische Frau: “Gde Gastiniza Sverdlovsk” auf Deutsch: Wo ist das Hotel Sverdlovsk? Sie zeigt nur genau über den Vorplatz und sagt da. Dann erst sehe ich, daß die Fassade des Hotels komplett mit einem Bauvorhang zugehängt ist, aber die Buchstaben auf dem Dach lassen keinen Zweifel. Immer noch lese ich die russischen Wörter wie ein Erstklässler, aber nach und nach gewöhnt man sich auch ein komplette Worte.
Ich gehe direkt zum Hotel und draußen ist es immer noch sehr warm. Nicht mehr so heiß wie in Moskau, aber über 30 Grad. Schwitzend erreiche ich mit meinem schweren Rucksack das Hotel und die Rezeptionistin spricht wieder nur russisch mit mir. Als ich sie frage, ob sie englisch kann, sagt sie nur njet, aber schon eilt von der Seite meine Rettung. Eine zweite Rezeptionistin kann sehr gut Englisch und wir klären die Formalitäten. Sie gibt mir eine Gastkarte mit der Nummer des Zimmers und sagt den Schlüssel zum Zimmer würde ich in der 7. Etage bekommen, da wo auch mein Zimmer liegt. Ich passe kaum mit meinem Rucksack in den engen (höchstens 2-Mann) Aufzug und fahre in den 7. Stock. Dort erwartet mich eine Babuschka, die mir gegen meine Karte den Schlüssel gibt. Es ist so ein kleiner Steckschlüssel, den ich von einem Vorhängeschloss kenne. Das erweckt bei mir kein Vertrauen in die Sicherheit. Ich schließe die Türe auf und ahne nichts Gutes. Das Zimmer ist winzig, heiß, stickig und als ich dann die Badtüre aufmache, packt mich nur noch das Grausen. Ich setze erst mal mein schweres Gepäck ab, schließe den Raum ab und fahre zurück zur Rezeption um ein anderes Zimmer zu besorgen. Die Rezeptionistin grinst etwas als ich ihr mein Anliegen vorbringe, meint aber sie könnte mir ein besseres Zimmer geben. Das würde aber etwas mehr kosten. Sie gibt mir einen Schlüssel für die 5. Etage und ich soll mir das Zimmer erst einmal anschauen. Das Zimmer erweist sich als genauso klein, hat aber Toilette und Bad getrennt und sieht optisch viel besser aus. Ich entscheide mich das Zimmer zu nehmen. Unten “kalkuliert” die Rezeptionistin 500 Rubel (12,50 EUR) mehr für die Nacht. Ja so kann man auch sein Geld verdienen. In den russischen Hotels ist es üblich im Voraus zu zahlen, deswegen macht sie auch schon meine Rechnung fertig, die ich sofort bezahlen muss. Auf dem Zimmer habe ich zwar einen Minibar-Kühlschrank, aber der ist komplett leer. Deswegen können auch keine weiteren Kosten im Hotel entstehen. Für das Frühstück habe ich zwei Bons erhalten, die ich am Büffet einlösen soll.
Es ist noch hell draußen um die ersten Schritte in die Stadt zu wagen. Befreit vom Gepäck ist es richtig gut einfach so in die Stadt zu laufen. Ich sehe die ersten beeindruckenden Gebäude und breite Straßen. Alles ist sehr sauber und gepflegt. Vor dem Theater ist eine sehr schöne Blumenanlage mit Parkbänken. Dort sitzend beobachte ich das abendlich Treiben in der Stadt. Von meiner Parkbank habe ich einen herrlichen Blick auf die Kapelle zum Blut. Mehr dazu im Bericht von morgen.
Noch bevor es endgültig dunkel wird, laufe ich lieber zurück zum Hotel. Direkt neben dem Hotel liegt ein japanisches Restaurant, was einen sehr guten Eindruck macht. Bei der Begrüßung weiß ich nicht ob die Angestellten russisch oder japanisch mit mir reden. Aber sie merken schnell, dass ich keiner der beiden Sprachen mächtig bin. Die Kellnerin bringt mir die bebilderte, englische Karte und ich kann mir etwas leckeres zum Essen aussuchen. Nach dem Abendessen gehe ich auf kurzem Wege ins Hotel und entdecke in der Lobby den “Nachtisch-Automat” Ein gut gekühltes Snickers ist jetzt genau der richtige Genuss.
Zurück im Zimmer bemerke ich eine große Dummheit von mir. Wegen der stickigen Luft hatte ich das Fenster aufgelassen. Direkt vor dem Fenster steht aber das Baugerüst, über das man von außen leicht in das Zimmer einsteigen könnte. Aber ich hatte Glück und es ist alles noch da. Nun muss ich mich entscheiden: frische, kühle Luft oder Autolärm. Ich entscheide mich erst einmal für die Luft. Als ich nach einer Stunde aber immer noch nicht eingeschlafen bin, schließe ich das Fenster. Sofort wird es so warm, daß ich trotz Bewegungslosigkeit schwitze. Aber bald schlafe ich ein.