postheadericon Ein Tag in Khabarovsk

Tatiana ist heute Morgen schon sehr früh aufgestanden um in der Stadt eine Tanzstunde zu geben. Ihre Kunden nutzen die Zeit schon vor der Arbeit. Danach will sie einen weiteren Gast aus Irland am Bahnhof abholen. Ich kann also in Ruhe ausschlafen. Schon bald höre ich die Beiden an der Türe. Tatiana macht erst mal Frühstück für uns beide in der traditionellen russischen Art. Danach muss sie kurz ein paar Dinge in der Wohnung ihrer Eltern erledigen. Später sagt sie mir, dass sie dort den Internet-Anschluss nutzt, weil sie sonst in ihrer Wohnung selbst dafür zahlen muss.

Um 12:00 beschließen wir einen Stadtrundgang zu machen. Wir fahren mit dem nächsten Bus in die Stadt. Sofort fällt mir auf, dass die Stadt insgesamt sehr grün ist. Überall sind für eine russische Großstadt ungewöhnlich viele Bäume im Stadtbild zu sehen. Außerdem ist die Stadt sehr hügelig. Das macht viele Blicke äußerst interessant. Wir steigen an der Universität aus. Tatiana erzählt, dass sie mal Eisenbahn-Vermessung studiert hat. Khabarovsk hat eine spezielle Universität für dieses Fach. Sie hat das studiert, weil ihre Eltern das so wollten. Aber nun fühlt sie sich in der Selbständigkeit als Tanzlehrerin viel glücklicher und kann auch viel mehr Geld verdienen.

Tatiana legt ein gutes Tempo vor und ich kann ihr bei dem heißen Wetter nur schwer folgen. Dabei gerate ich richtig ins Schwitzen. Aber immer wieder macht sie mal eine Pause und erklärt uns die Sehenswürdigkeiten. Auf dem Weg sehe ich eine Bank. Da ich noch Bargeld für die Fährtickets brauche gehe ich an den Geldautomat. Der sagt aber, dass meine Karte nicht mehr lesbar ist. Ich bekomme schon einen Schrecken, aber Tatiana meint, dass dies schon manchmal vorkommt. Ich soll einfach eine andere Bank probieren. Ein paar Meter weiter ist die Raiffeisen-Bank. Dort kann ich sogar den Automaten auf Deutsch bedienen und mein Geld kommt ohne Probleme aus dem Schlitz.

Bald darauf erreichen wir das malerische Ufer des Amur. Die Promenade ist perfekt ausgebaut und sicherlich noch sehr neu. Irgendwie hat man überhaupt den Eindruck, dass diese Stadt viel Geld in der letzten Zeit investiert hat. Alle öffentlichen Gebäude sind in einem guten Zustand, überall sieht man Handwerker arbeiten. Auf der Promenade kommen wir zu einem richtigen Strandabschnitt. Die Leute liegen in der Sonne, nur wenige trauen sich ins Wasser. Tatiana erzählt uns, dass man hier besser nicht baden sollte, weil der Fluss an dieser Stelle sehr verschmutzt ist. Die Grenze zu China ist nur ca. 10 km entfernt und es würde dort viel Abwasser in den Fluss eingeleitet. Schade um den schönen Fluss, aber ich denke, hier werden auch bald erste Naturschutzaktivitäten zu beobachten sein.

Hoch über der Strandpromenade erhebt sich ein Gebäude des Stadtgründers der Stadt Khabarovsk. Wir steigen den steilen Hügel hinauf und schnaufend erreichen wir das herrliche Gebäude. Davor steht die Statue des Stadtgründers. Natürlich wird auch dieser schöne Park von Brautpaaren für die Hochzeitsfotos genutzt. In dem Gebäude ist ein Restaurant untergebracht und dies soll ein echter Geheimtipp sein. Nirgends findet man außen einen Hinweis auf das Restaurant. Wir gehen durch das Gebäude auf die schönste Aussichtsterrasse, die ich kenne. Hier ist absolut niemand und man hat den herrlichsten Blick über den Amur und die Stadt. Die Preise sind absolut günstig und ich bin mir sicher, dass der Restaurantbetreiber noch nicht erkannt hat, welch Juwel er da eigentlich hat. Wir bestellen nur etwas zu trinken und ein Brautpaar kommt auf die Terrasse und macht mit einer Profi-Fotografin Hochzeitsfotos mit wehendem Schleier. Die Fotografin gibt unablässig Kommandos an das Brautpaar und die folgen meistens nur unwillig.

Unser Weg führt uns nun zur neu erbauten Kirche am Komsomolplatz. Mit ihren herrlich blauen Dächern gibt sie ein gutes Motiv für meine Fotoserie. Weiter gehen wir entlang der Hauptgeschäftsstraße. Die Bürgersteige sind nagelneu, überall sind schöne Blumenbeete und die Geschäfte verkaufen noble Sachen. Irgendwie ist das noch ein Missverhältnis zwischen den Preisen und den Einkommen der Bevölkerung. Langsam bekommen wir Hunger und Tatiana führt uns in ein typische russische Schnellrestaurant. Es bietet russische Spezialitäten zu sehr günstigen Preisen und das bei guter Qualität an. Ich trinke hier auch ein Getränk, das aus Brot hergestellt wird. Schmeckt sehr interessant, aber mein Favorit wird das wohl nicht werden.

Der Aufenthalt im Restaurant hat uns wieder abgekühlt, aber so langsam gehen unsere Kräfte zur Neige. Tatiana, die immer noch topfit erscheint, verspricht das baldige Ende der Wanderung durch die Stadt. Sie will noch einen Freund besuchen. Er ist Schmuckkünstler und in der Stadt sehr bekannt. Schon bald erreichen wir sein Atelier. In dem Eingangsbereich hat er große Bilder aufgehängt, die seinen Schmuck zeigen. Darin hat er in einer Fotomontage in sehr künstlerischer Form schöne Frauenakte positioniert. Photoshop macht’s möglich. Aber alles wirkt sehr kunstvoll.

Seine Frau kocht sofort Tee für uns und wir werden ins “Wohnzimmer” gebeten. Das ist ein Multifunktionsraum, der wohl als Küche, Fotoatelier, Werkstatt, Verkaufsraum und eben auch Wohnzimmer dient. Die beiden können leider nur russisch und so muss Tatiana immer übersetzen. Er erzählt, wie er seinen Schmuck designt und dass er ihn bis nach Moskau verkauft. Besonders stolz ist er, dass die “Miss Khabarovsk” seinen Schmuck trägt und zeigt uns gleich die Bilder von der russischen Schönheit mit seinem Schmuck.

Tatiana muss wieder in die Tanzschule und ich fahre mit dem irischen Gast (Sammy) zurück in die Wohnung. Tatiana hat uns einfach ihre Schlüssel zur Wohnung gegeben und will in zwei Stunden nachkommen. Wir sollen den Bus 23 nehmen, der fährt direkt zur Wohnung. Schon bald kommt der Bus und wir steigen ein. Bereits nach einer Haltestelle müssen alle aus dem Bus aussteigen und wir sind beide etwas verwirrt. Ich probiere Tatiana anzurufen, aber sie hört nicht. Also warten wir einfach auf den nächsten Bus und hoffen, dass der uns zur Wohnung bringt. Nach ca. 10 Minuten kommt ein weiterer Bus 23 und der ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Aber egal, wir drängen uns noch rein. Schon bald erkennen wir, dass wir hier richtig fahren und erreichen auch bald die Plattenbau-Siedlung. Ich gehe noch schnell in den nahen Supermarkt und kaufe ein paar Kleinigkeiten für die Reise morgen im Zug, und natürlich wieder Bier und Chips für einen weiteren gemütlichen Plauderabend.

Nach zwei Stunden kommt auch Tatiana. Wir beschließen den Abend mit interessanten Gesprächen. Sammy, der irische Gast, ist Opfer der Rezession geworden. Er hat seinen Job als Elektronik-Facharbeiter verloren und hat aber eine gute Abfindung bekommen. Damit reist er nun um die Welt und will nach Korea gehen um dort als Englisch-Lehrer tätig zu sein. Ich denke an die armen koreanischen Kinder, die sich in Zukunft mit seinem irischen Akzent rumschlagen müssen und auch wenn sie schon ein paar Worte englisch können sicher denken, der redet in einer anderen Sprache.

Bald gehen wir ins Bett. Tatiana hat sogar eine weitere Matratze für den irischen Gast.

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