postheadericon Auf dem Weg zum Pazifik

Ich kann nur schwer schlafen. Sammy schnarcht direkt neben mir und mich ärgert die ganze Nacht eine Stechmücke, die ich schon am Abend vorher killen wollte.

Gegen 06:20 stehe ich auf. Draußen ist es noch sehr dunkel aber das erste Dämmern ist zu erkennen. Tatiana hat für mich um 07:00 ein Taxi zum Bahnhof bestellt und will mit in die Stadt kommen. Schnell packe ich meine Sachen und bin pünktlich fertig. Nur Tatiana muss sich noch schminken, die Katze füttern und will auch noch um 5 nach sieben für mich Tee kochen. Aber dann kommt der rettende Anruf des Taxifahrers und wir müssen runter.

Der Taxifahrer zeigt uns seine “Michael-Schuhmacher-Qualitäten”. Er heizt durch die Stadt, als muss er ein Formel-1 Rennen gewinnen. So sind wir schon um 20 nach sieben am Bahnhof. Ich will mich gerade von Tatiana verabschieden, aber sie lässt es sich nicht nehmen, mich bis in den Zug zu begleiten. Uns kommen auf der engen Treppe viele schwer bepackte Reisende entgegen und ich habe meine Last, meinen Weg zu verteidigen. Wir müssen zum Bahnsteig 4, was ein ziemlich langer Weg über die hohen Passagierbrücken bedeutet. Mein Zug steht bereits am Gleis, er hat hier mehr als eine Stunde Aufenthalt. Von hier kommen die großen Menschenmassen, die mir auf der Treppe begegnet sind. Der Zug ist deutlich älter und dreckiger als die Züge zuvor. Er hat die Nummer 351. Man hatte mir ja gesagt, dass der Komfort mit höher werdenden Zugnummern deutlich nachlässt. Schnell finde ich meinen Wagon und auch an der Schaffnerin hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Die oberste Gebissreihe ist weitgehend in Gold, aber für den Schneidezahn in der Mitte hat das Budget wohl nicht mehr ausgereicht. Aber freundlich kontrolliert sie mein Ticket und meinen Pass und ich kann einsteigen. Tatiana begleitet mich bis ins Abteil um mir mit dem Gepäck zu helfen. Ich habe diesmal mehr Glück als beim letzten Zug. Unten liegt eine schlafenden Frau und oben zwei schlafende junge Männer. Das verspricht mehr Ruhe. Die Einrichtung des Abteils stammt größtenteils aus dem VEB “Plaste und Elaste” und ist wohl in der DDR gebaut worden. Überall sieht man Schilder in deutscher und russischer Sprache. Leider ist es jetzt schon sehr warm und stickig. Und so gehe ich mit Tatiana zurück in die frische Morgenluft. Wir haben bis zur Abfahrt noch knapp eine Stunde Zeit. Wir reden noch ein wenig und dann muss Tatiana los zu ihrer Tanzschule. Sie verabschiedet mich herzlich mit Küsschen links und rechts, wie man es in Russland so macht. Schon bald ist Tatiana im Menschengewühl des Bahnsteiges verschwunden und ich mache noch ein paar Fotos vom sehr schönen Bahnhofsgebäude. Leider traue ich mich nicht mehr zurück auf den Bahnhofsvorplatz.

Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung und schon bald kommt das gewohnte Bild. Bäume, Bäume, Bäume. Ich döse auf meinem Bett und die anderen schnarchen. Gegen 11:00 kommt das schon bekannte “Frühstück”. Es hat die gleiche Qualität wie in den Komfortzügen. Mit der steigenden Sonnen steigt auch die Temperatur im Abteil in unangenehme Höhen. Ich beschließe es den Russen gleich zu tun und ziehe mein Hemd aus. Es ist zwar immer noch heiß, aber nun besser zu ertragen. Immer wieder gehe ich mal auf den Flur. Hier sind einige Zugfenster geöffnet und so sind die Temperaturen wesentlich angenehmer. Der Zug hält an jeder “Milchkanne”. Jeder Bahnhof an der Strecke wird angefahren. Insgesamt habe ich 80 Stopps an der Strecke bis nach Vanino. Auf der Zugtafel entnehme ich, dass die Strecke von Khabarovsk bis nach Vanino am Pazifik 855 km lang ist. Alles ist auf den km genau festgehalten.

Im Nachbarwagen ist das Restaurant untergebracht. Die Restaurantwagen werden an den Bahnhöfen durch eine große offene Tür mit neuen Lebensmitteln versorgt. Und diese Türe ist meistens während der Fahrt nur durch ein Gitter gesichert und sonst offen. Ich nutze die Gelegenheit und mache noch schnell ein paar Fotos vom Zug in der Kurve, bevor ich ein weiteres gutes russisches Menü genieße. Zu meinem Erstaunen ist Menükarte auch auf Englisch verfügbar. Das Personal ist wie immer sehr freundlich und bemüht. Von der Trägheit des Sozialismus ist hier nichts mehr zu spüren. Satt und glücklich krieche ich in meine Koje und stelle mir noch den Wecker für morgen früh. Mein Zug wird um 10:17 in Vanino ankommen.

 

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