postheadericon Auf dem Weg nach Tschita

Früher hätte ich mir kaum vorstellen können, 6 Stunden in einer Bahnhofshalle sitzen zu können. Aber es macht mir nicht viel aus. Meine Schlafversuche werden immer wieder durch die lauten Ansagen, die jeweils mit einer schrecklichen Melodie eingeleitet werden, vereitelt. Ich suche ein “Kafe”, wie es hier in Russland geschrieben wird.

Die Auswahl ist nicht gerade berauschend. Aber ich stille meinen Hunger etwas und einen guten Tee gibt es auch. Aber schon bald werde ich hier vertrieben, weil der Kellner das Lokal schließen will. Zurück in der Wartehalle beobachte ich die Menschen und träume vor mich hin. Dann ein wenig lesen auf dem iPad und wieder dösen. So lösen sich die sechs Stunden schnell in Luft auf. Kurz vor Abfahrt treffe ich noch ein deutsches Paar aus Mannheim. Wir gehen zusammen zum Bahnsteig, aber sie müssen zum Wagen 1, ich bin in Wagen 8.

Im Abteil fühle ich mich wieder “zurück in der Zivilisation”. Alles ist neu und sauber, nur ein Bett oben ist belegt, alles Bestens. Kurze Zeit später kommt ein Junge (14 Jahre) ins Abteil und wie Tarzan schwingt er sich nach oben. Die oberen Betten sind ziemlich hoch und man kann über zwei Trittstufen, die seitlich an der Abteilwand angebracht sind, nach oben steigen.

Der Stopp an den größeren Bahnhöfen beträgt so ca. eine halbe Stunde, es bleibt also immer genügend Zeit zum Ein- und Aussteigen. Auch werden mit dieser Zeitspanne immer wieder kleine Verspätungen ausgeglichen. Nach wieder ein paar Augenblicken kommt ein weiteres Paar in das Abteil und richtet sich ein. Sie kommen aus Straßburg und wir unterhalten uns die ganze Reise sehr angeregt. Er ist Fotograf, sie Journalistin und kann sehr gut Deutsch sprechen.

Immer mal wieder kommt der Freund unseres kleinen Mitfahrers zu uns ins Abteil und der will ganz genau wissen, was denn verschiedene Sachen in Europa so kosten, BMW, Mercedes, Haus, Wohnung, Iphone etc. Wir kramen unsere letzten Russischkenntnisse zusammen, schreiben Zahlen auf Servietten und so vergeht die Fahrtzeit wie im Fluge.

Nach einem Stopp um halb acht besuche ich noch schnell dem Restaurant im Zug. Es sieht wieder komplett anders eingerichtet aus, als in den anderen Zügen, obwohl diese die gleiche Zugnummer hatten. Diesmal ist es sehr antiquiert eingerichtet. Auch die Menü-Karte sieht komplett anders aus. Von einem Mitfahrer lerne ich, dass der Betrieb der Restaurants in den Zügen bereits “outgesourced” ist, also der Betrieb wird durch private Firmen erledigt.

Ich bestelle ein sehr schmackhaftes Hähnchenschnitzel mit “Kartofln fri”, also Pommes. Dazu ein kühles Warsteiner und die Welt ist einfach in Ordnung. Draußen zieht die herrliche Landschaft vorbei und wegen der kurvigen Strecke kann ich immer mal wieder die Lok vorne sehen.

Meine Ankunft in Tschita wird um 0:11 sein und schon 40 Minuten vorher kommt die Schaffnerin und will mich wecken. Zu ihrem Erstaunen sitze ich bereits “auf gepackten Koffern” fertig zum Aussteigen. Wir erreichen Tschita mit kleiner Verspätung und ich gehe über die Fußgängerbrücke zum Bahnhofsvorplatz, wo schon die Taxis bereit stehen. Ich gehe auf das nächste Taxi zu und der Fahrer hilft mir sofort mit dem Gepäck. Nach wenigen 100 Metern erreichen wir mein Ziel, das Hotel Zabaikale in Tschita. Ich wusste nicht, dass der Weg so kurz ist, sonst wäre ich ihn bestimmt gelaufen. Der Fahrer will 200 Rubel von mir, was ich nun wirklich unverschämt finde. Aber er geht immerhin mit mir ins Hotel und hilft mir mit dem Gepäck.

Die Rezeption ist nicht besetzt und aus einer Türe kommt ein Security-Mann. Ich muss klingeln und dann endlich kommt die Rezeptionistin völlig verschlafen aus einer Türe. Sie findet meine Reservierung, nur der Preis ist höher, als mir mein Kollege aus Moskau mitgeteilt habe. Als ich ihr dies in einem sehr ernsten Ton (das war die Anweisung meines Kollegen aus Moskau, dass ich dies immer tun müsse, wenn ich mir Respekt verschaffen will) sage, dass ich das so nicht akzeptiere, sinkt schon der Übernachtungspreis um 1000 Rubel. In den russischen Hotels muss man den kompletten Übernachtungspreis immer im Voraus beim Einchecken zahlen.

Ich bekomme, wie angekündigt, ein sehr schönes Zimmer in der neu renovierten sechsten Etage des Hotels. Leider nicht mit Aussicht auf den zentralen Lenin-Platz in der Stadt.

Als ich noch schnell in die Dusche will, lasse ich das Wasser endlos lange laufen, aber es bleibt kalt. Ich entscheide mich dann doch, das Duschen auf morgen zu verschieben.

In wenigen Sekunden schlafe ich nach den Strapazen der vergangen zwei Tage ein.

 

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